Der Minnesaenger
Hartmann strahlte eine so große Ruhe aus und in seiner Nähe fühlte sie sich sicher. Dieses Gefühl von Geborgenheit hatte sie in all den Jahren vermisst. An seiner Seite fürchtete sie sich nicht mehr, sondern begrüßte jeden neuen Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen. Er konnte sie doch nicht einfach wieder verlassen.
»Ich habe tagelang darüber nachgedacht«, sagte Hartmann. »Ich würde viel lieber bei dir bleiben, aber es gibt keinen anderen Weg für uns.«
Als sie spürte, wie er behutsam über ihre Wange strich, wurde alles nur noch schlimmer. Nach dieser Berührung hatte sie sich so lange gesehnt. Wie oft würde sie die Wärme seiner Haut noch spüren? Würde sie ihn jemals wiedersehen, wenn er ins Heilige Land aufbrach? Sie lehnte sich mutlos an seine Schulter und ließ es zu, dass er sie in seine starken Arme nahm und sie vorsichtig in den Sand bettete. Mit beiden Händen umfing sie seinen Kopf und schmiegte ihre Nase in seine Halsbeuge. Sein Geruch kam ihr seltsam vertraut vor. Vorsichtig küsste Judith seine warme Haut und strich mit den Fingern über die starken Muskeln seines Rückens. Sie spürte, wie sein Griff um ihre Taille stärker wurde, wie sein Atem schneller ging und er seinen Leib gegen ihren Schenkel drängte. Das Begehren erwachte in ihm...
Sie konnte nichts dagegen unternehmen, aber schreckliche und verstörende Bilder schoben sich vor ihr geistiges Auge. Bilder, die sie mit aller Kraft verdrängt hatte, die aber immer am Rande ihres Bewusstseins lauerten, um plötzlich über sie herzufallen. Sie schwebte über der Szene, so als wäre sie gar nicht beteiligt, so als würde all dies
nicht ihr, sondern einer fremden Frau geschehen. Obwohl diese grässlichen Dinge viele Jahre zurücklagen, fühlten sie sich so echt an, als würden sie sich in diesem Moment zutragen.
Judith sah, wie ihr Ehemann August ihr die Kleidung grob vom Leib zerrte, sie wie einen jungen Hund im Nacken packte und mit dem Gesicht voran auf den Tisch drückte. Er raffte ihr den Umgang über das Gesäß und drang brutal in sie ein. Schnaufend, ächzend und stöhnend stieß er zu - einmal, zweimal, zehnmal -, bis er sich endlich in ihren Schoß ergossen hatte. Ohne ein Wort zu verlieren, zog er sein tropfendes Glied heraus und ging wieder seiner Wege. Sie verharrte regungslos und bemühte sich, das Geschehene zu verarbeiten. Der körperliche Schmerz war nicht das Schlimmste, sondern das Gefühl des Ausgeliefertseins. Wann immer er Lust hatte, konnte er sie packen und sich an ihrem Leib befriedigen. Sie war dagegen vollkommen machtlos.
»Was ist mir dir?«, fragte Hartmann.
Judith hatte sich erhoben und starrte auf ihn hinab. Sie hatte überhaupt kein Gefühl mehr im Körper. Gleichzeitig klopfte ihr Herz wie verrückt und pumpte viel zu viel Blut in ihren Kopf, so dass ihr ganz schwindlig wurde. Sie wusste, dass Hartmann anders war als August. Sie war davon überzeugt, dass er ihr niemals Gewalt antun würde, aber ihre Gedanken wurden von einer Flut furchtbarer Erinnerungen überschwemmt.
»Nun sprich doch mit mir«, sagte Hartmann und packte sie am Arm.
Der feste Griff versetzte Judith in Panik. »Rühr mich nicht an«, schrie sie und riss sich los. »Lass mich zufrieden!
Lasst mich doch alle zufrieden!« Mit beiden Händen hob sie ihr Wollkleid an und hetzte in die Dunkelheit davon, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, verfolgt von den schrecklichen Erinnerungen an die Misshandlungen.
»Es tut mir leid«, rief Hartmann. »Bitte versteh doch, dass es nicht anders geht. Ich verspreche dir, dass ich zurückkomme. Hörst du? Dieses Mal wird mich niemand aufhalten können. Dieses Mal werden wir zusammen sein - für immer!«
4.
Judith rannte ziellos durch die Nacht. Sie wusste weder, in welche Himmelsrichtung sie lief, noch konnte sie zu irgendeinem Zeitpunkt sagen, wo sie sich gerade befand. Die Bewegung lenkte sie von ihren Gefühlen ab und half ihr dabei, ihre Gedanken zu ordnen.
Ihre heftige Reaktion gegenüber Hartmann hatte sie selbst erschreckt, aber in dem Augenblick war so viel auf sie eingestürzt, dass sie sich wie ein in die Enge getriebenesTier gefühlt hatte. Wenn sie nicht sofort die Flucht ergriffen hätte, wäre in ihr etwas zersprungen. Sie konnte nur hoffen, dass Hartmann nicht an ihren Gefühlen zweifelte.
Seinen Worten nach zu urteilen, wollte er an dem Kreuzzug teilnehmen, um ihre gemeinsame Zukunft zu sichern. Er war ein kluger Mann, der sich nicht auf ein lebensgefährliches
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