Der Minnesaenger
Die Darstellung des Mondes gelang ihr ohne Probleme. Erneut führte sie den Faden durch die Öse. »Jetzt noch die Sterne.«
»Dein Brauttuch wird so bunt wie das Flickengewand der Spielleute!«, sagte Agnes und strich über das bunte Durcheinander aus Schmetterlingen, Paradiesvögeln und Blumen.
»Der Umhang soll fröhlich sein. Alle sollen an meinem Glück teilhaben. Mutter sagt immer, dass ich sehr dankbar sein müsse. Normalerweise hätte ich August gar nicht verdient, weil er doch von freier Abkunft ist.«
Sie vollendete die Sterne, verknotete den Faden und durchtrennte ihn mit dem Messer. Beinahe alle Hochzeitsvorbereitungen waren nun getroffen. Immer wenn das Mädchen bei Agnes saß, fragte sie sich, ob die Frau des Dorfschulzen eine Nachricht von Hartmann erhalten hatte. Zwar sollte niemand von ihren Gefühlen, die ihr mittlerweile mehr als töricht erschienen, erfahren. Trotzdem sorgte sie sich um den Knaben. Vielleicht war ihm auf dem Heimweg etwas zugestoßen. Vielleicht brauchte er Hilfe. »Warum ist Euer jüngster Sohn über Ostern nicht heimgekommen?«, fragte sie Hartmanns Mutter.
Während Judith dem Flattern ihres Herzens nachspürte, blickte Agnes sorgenvoll drein. »Der Junge erzählte mir, dass sein Schulmeister ihn in den vergangenen Jahren in der Sprache der Franken unterrichtet hätte. So wird es auch in diesem Jahr gewesen sein.«
»Ach so«, sagte Judith.
Mit einem Ruck erhob sich Agnes von dem Schemel, ging zum Herd und kniete auf dem Boden nieder. Sie nahm das Feuereisen und stocherte damit in der Glut. »Du musst jetzt gehen!«
»Natürlich, Herrin. Nach dem langen Tag seid Ihr sicher müde. Nur eines würde ich gerne noch wissen: Ist noch etwas von dem braunen Faden übrig geblieben?«
»Warum fragst du?«
»Weil ich gerne einen Falken in das Tuch sticken möchte.«
»Einen Falken«, sagte Agnes und lächelte. »Dann komm morgen ganz früh wieder!«
8.
Am nächsten Tag versammelten sich die Bauern um die Mittagszeit im Heimgarten. Dankwart nannte die Gegenstände der Eheverabredung und gab die Zeugen für die Beiliegung bekannt. Er fragte die Brautleute, ob sie den Bund der Ehe eingehen wollten, was von beiden bejaht wurde. August trat Judith auf den Fuß und der Pfaffe erteilte ihnen den kirchlichen Segen.
Nach Abschluss der weltlichen und kirchlichen Zeremonie ließ Judith sich von ihrem Ehemann heimführen. Ein wunderschönes Tuch in den Farben des Regenbogens bedeckte ihre Schultern. Auf Höhe des Schlüsselbeins segelte ein Falke mit ausgebreiteten Schwingen, den sie in aller Eile noch im Morgengrauen gestickt hatte.
Judith hatte sich schon vor einigen Tagen in ihr Schicksal ergeben. Sie war weder besonders glücklich noch besonders traurig, aber es beruhigte sie ein wenig, dass alle Verwandten, die sie von Kindesbeinen an kannte, ihren Ehemann in den höchsten Tönen gelobt hatten. Es erschien ihr undenkbar, dass sie sich alle täuschen sollten. Immer wieder rief sie sich die Worte der Mutter ins Gedächtnis: »Die Ehe muss die Minne stiften und nicht umgekehrt.«
Sogar der Himmel spielt mit, dachte die junge Frau. Die Sonne strahlte und nirgends zeigte sich eine Wolke. Die Festgesellschaft würde lange feiern können, ohne von einem Schauer überrascht zu werden.
Judith drückte zärtlich den Unterarm ihres Ehemannes und sah zu ihm auf. Sein Gesicht aber zeigte keine Regung. Starr blickte er auf das Tor, das gerade von einem Knecht geöffnet wurde. Er hat sich gar nicht zu meinem Schulterumhang
geäußert, dachte sie, alle haben seine Schönheit gewürdigt, nur August nicht. vielleicht fürchtet er sich vor der Beiliegung genauso wie ich. Ich werde ihn späterfragen, wenn wir mehr Zeit haben.
Plötzlich watschelte eine Ente so schnell durch eine Pfütze, dass Dreckwasser aufspritzte und das Brautkleid beschmutzte. Judith sah an sich herab und musste plötzlich lachen, so laut und fröhlich, dass einige Gäste einstimmten. Die junge Frau lachte noch, als die Verwandten längst eine Gasse bildeten, die auf die Haustür zuführte.
»Hör endlich auf«, flüsterte August, so dass niemand außer ihr ihn verstehen konnte. »Erst kommst du mit diesem schrecklichen Umhang daher und dann lachst du wie eine Irre. Willst du mich zum Gespött machen?« Er packte sie am Ellenbogen und zerrte sie ins Haus.
Die Hochzeitsgäste verteilten sich auf die Bänke. Zwei ausgeweidete Schweine hingen an Stricken vom Dachbalken des Stalls, zwei weitere schmorten an Spießen über dem
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