Der Minnesaenger
verwittertem Gesicht. Im Gefolge des Herzogs führte er die Aufsicht über die Pferde und die Reiseangelegenheiten. Auch befehligte er die Wachmannschaft und unterwies den Thronfolger und Hartmann in Kampfangelegenheiten.
Nach der morgendlichen Begrüßung sagte der Marschall: »Im Krieg müsst Ihr Männer erschlagen, gegen die Ihr keinen Groll hegt und die Euch an einem besseren Tag zum Gefährten taugen würden. Meine Aufgabe muss es daher sein, Euch nicht nur das Handwerk zu lehren, sondern ebenso eine feste Gesinnung zu vermitteln, die Euch vom Abenteurer unterscheidet. Hartmann, wann ehrt der Kampf einen Mann?«
»Wenn man seinen Vater, die Mutter, die Schwester, den Bruder und das Volk verteidigt.«
»Habt Ihr noch etwas hinzuzufügen, mein Prinz?«
»Wann immer er einem christlichen Ziel dient. Die Kreuzfahrer fochten im Namen Gottes. Auch ihr Kampf war gottgefällig.«
»Gut«, sagte der Marschall. »Dreht euch um.«
Zwei Schlagbäume, die mannshoch waren und von steinernen
Sockeln gehalten wurden, standen inmitten des Burghofes. Zahllose Holzspäne standen wie Federn ab.
»In der vergangenen Woche habt Ihr gelernt, den Speer wirkungsvoll zu gebrauchen. Unter dem Arm , um so von unten her einen Stich zu versetzen; über dem Arm , um ihn als Geschoss zu nutzen; und unter der Achsel, wenn Ihr mit Eurem Pferd einen Angriff reitet. Mein Prinz, worauf ist dabei zu achten?«
Die Stirn des Thronfolgers legte sich in Falten. Eine Antwort blieb aus.
»Hartmann?«
»Auf den Schwerpunkt.« Der Jungmann aus Aue ignorierte den kalten, stechenden Seitenblick des Thronfolgers. Bei anderen Gelegenheiten hatte er dem Marschall schon vorgegaukelt, dass er die Antwort nicht wisse. An der feindlichen Haltung Berthold des Jüngeren hatte sich nichts geändert. Deshalb antwortete er nach bestem Wissen und Gewissen, auch wenn sich dadurch zeigte, dass der Thronfolger nicht mithalten konnte. »Beim Wurf sowie beim Stoß von unten her ist der Speer am Schwerpunkt zu greifen. Bei der Verwendung als Lanze muss der Reiter zwar einiges hinter dem Schwerpunkt greifen, dennoch ist sie beim Aufprall gerade zu halten, was dem Krieger viel Kraft abverlangt.«
»Richtig«, sagt der Marschall. »Kraft ist auch die passende Überleitung, um zu der heutigen Übung zu kommen. Stellt Euch vor, dass sich zwei Kämpfer gegenüberstehen. Beide sind sich ebenbürtig. Wenn man nur ihre Technik betrachtet, würde ihr Kampf niemals enden. Trotzdem wird einer von beiden siegen. Wer wird das sein, mein Prinz?«
Wieder legte sich die Stirn des Thronfolgers in Falten. »Derjenige, der öfters betet?«, fragte er.
»Das sowieso!« Nur mühsam unterdrückte der Marschall ein Lächeln. »Hartmann?«
»Derjenige, der über die größere Ausdauer verfügt. Wenn seinem Gegner die Kräfte schwinden, wird er ihm das Schwert aus der Hand schlagen können. Dieser Kampfverlauf lehrt uns, dass es nicht nur auf Technik ankommt. Ein Krieger muss ebenso über Muskelkraft verfügen.«
»Sehr gut! Geht nun zu den Schlagbäumen.« Der Marschall zog sein Schwert. »Ich will, dass Ihr dem Schlagbaum von beiden Seiten Hiebe versetzt. So... und so...« Er wiederholte den Bewegungsablauf, so dass die Zöglinge sich ihn einprägen konnten. »Jetzt versucht es selbst.« Der Thronfolger und Hartmann nahmen Aufstellung, wurden aber sogleich korrigiert. »Nein, stellt Euch nicht nebeneinander, sondern gegenüber, damit Ihr Euch nicht verwundet... Ja, genau... Schlag rechts, Schritt zurück, Ausfallschritt, Schlag links... Berthold, schlagt kräftiger zu. Bietet Eure ganze Kraft auf!... Hartmann, schlag den Stahl nicht waagerecht gegen den Stamm, sonst stauchst du dir das Handgelenk... Ja, genau... Immer im Wechsel... Wenn Euer rechter Arm ermüdet, nehmt Ihr den linken... Macht so lange weiter, bis ich wiederkomme.«
Jedes Mal wenn der Stahl auf das harte Holz traf, spürte Hartmann die Erschütterung bis in die Schulter. Diese Übungen stärkten nicht nur seine Muskeln, sondern auch sein Selbstbewusstsein. Er hatte längst begriffen, dass er als einziger Unfreier doppelt und dreifach so viel leisten musste wie die Edelleute. Er hatte auch erkannt, dass Talent
bei den meisten Menschen Neid und Missgunst hervorrief. Wenn er sich am Hofe des Zähringers behaupten wollte, durfte er sich die Anfeindungen nicht zu Herzen nehmen.
7.
Das Frühjahr hatte den Bauern ausreichend Sonne und Regen beschert, so dass das Korn prächtig gediehen war. Golden wiegten sich die Ähren im
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