Der Minnesaenger
Wind. Der Himmel leuchtete in einem Blau, das Weite versprach. Und im ganzen Hexental machten sich die Bauern an die Ernte.
Körperlich hatte Judith sich von der Fehlgeburt erholt und arbeitete wieder voll mit. Nachdem sie eine Pause ausgerufen hatte, setzte sie sich zu den Hörigen. Ein Krug Wasser wurde herumgereicht. Man brach Brocken vom Brot ab und gab den Laib dem Nebenmann. Aus den Augenwinkeln beobachtete Judith, wie sich der Knecht und die Magd lüsterne Blicke zuwarfen. Die junge Frau hielt ihre Hände aufgestützt, so dass sich ihre Brüste unter dem Hemd abzeichneten. Unter dem Schamtuch des Jünglings zuckte sichtbar eine Erektion.
»Gehen wir später zum Bach?«, fragte der Knecht.
»Aber wieso denn?«, erwiderte die Magd. »Ich hab doch schon gebadet!« Plötzlich warf sie den Kopf in den Nacken und lachte schallend los.
Judith stand abrupt auf und pickte sich einige Halme aus ihrem Haar. Sie blickte zum Waldrand, wo sich die Hitze wie eine Wand vor die Bäume gestellt hatte. Sie sah zu dem Steinhaus, das ihr Zuhause sein sollte, aber nichts als ein Ort des Schreckens war. Am Nachmittag wollte August mit den Spießgesellen aus Freiburg kommen. Sie hatte
keine Ahnung, was die Männer hier wollten. Allein der Gedanke an Bengt ließ sie schaudern.
»Machen wir weiter«, sagte sie. »Wer weiß, wie lange sich das Wetter noch hält.«
Ein Zaun aus Stämmen und Weidenruten umgab den Acker und grenzte ihn von den Feldern der anderen Bauern ab, die weiter flussaufwärts die Ernte einbrachten. Judith griff nach der Sichel und schritt über die Stoppel zur Schnittkante. Sie bückte sich, raffte die Halme zu einem Bündel zusammen und trennte sie über der krustigen Erde ab. Dann warf sie die Halme hinter sich. Eine Magd band sie zu einer Garbe, warf sie auf einen Haufen und stimmte ein Sommerlied an: »Und wie ich sie da stehen sah, / da schlug mein Herz so freudig ihr entgegen. / Und ich sang:Tiritiritrallala...«
Ein leichter Wind strich über das Korn und lies es leise rascheln. Haarsträhnen strichen Judith ums Gesicht. So schnell wie der Schweiß aus ihren Poren brach, so schnell wurde er von der Sonne wieder getrocknet. Bei der anstrengenden Arbeit fühlte sie sich sicher. Die Erntehelfer brachten ihr Respekt entgegen und folgten ihren Anweisungen. Manchmal gewann sie sogar den Eindruck, als nähmen sie besonders viel Rücksicht. Eine Magd trat vor sie hin und bot ihr einen Krug an. Judith richtete sich auf und trank von dem kühlen Wasser. Das war gut und richtig. Auch die Feldarbeit war gut und richtig. Nur manchmal, wenn sie keine Beschäftigung hatte und tatenlos vor sich hinstarrte, war es ihr, als spürte sie an ihren Fingerspitzen ein schleimiges Ding, das nicht größer war als der Körper einer Kröte...
Hastig reichte sie den Krug zurück und sagte: »Ich danke
dir. Geh nun zu den anderen. Und wenn das Wasser aufgebraucht ist, lauf zum Brunnen und hol Nachschub.« Plötzlich beschirmte sie ihre Augen mit der Hand und spähte in die Ferne aus. »Hast du das gehört? War das Hufschlag?«
8.
August ritt voran, seitlich versetzt galoppierte Bengt, dahinter die beiden anderen Spießgesellen.
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte Bengt. »Du hast uns auch lang genug auf die Folter gespannt.«
»Ja, ja!« Am Gatter riss August an den Zügeln, drehte sich um und befahl: »Mach das Tor auf!«
»Wieso ich?«, meckerte ein Spießgeselle, rutschte aber vom Sattel und schob die Torflügel auseinander. Aus Übermut verbeugte er sich, als August an ihm vorüberritt.
Vor dem Stall stand der Karren; auf der Ladefläche lagen mehrere Heugabeln. Vermutlich hatten die Erntehelfer ihn zurückgelassen, um die Ochsen nicht der prallen Sonne auszusetzen. Die Männer banden die Pferde an und streckten die Rücken durch.
»Holen wir sie jetzt gleich, August?«, fragte einer der Spießgesellen. Er griff sich in den Schritt und drückte sein Gehänge in die richtige Position.
»Zuerst fahren wir die Ernte ein«, erwiderte August. »Ihr beide führt die Zugtiere aus dem Stall. Bengt, du kommst mit mir. Wir wollen Wasser aus dem Brunnenschacht schöpfen, um die Pferde zu tränken.«
Wenig später hob August die Deichsel an, damit die Spießgesellen den Ochsen das Geschirr anlegen konnten. Widerstandslos ließen die Tiere sich anspannen. Schmeißfliegen
schwirrten um ihre mächtigen Schädel und setzten sich auf die blanken Augen. Um sie in Bewegung zu setzen, drosch Bengt ihnen einen Knüppel zwischen die
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