Der Minnesaenger
ihn auf den Mund. Dann zog sie ein seidenes Tuch aus ihrem Ausschnitt und sagte: »Nimm dies als Zeichen meiner Gunst. Pass auf dich auf und sei bei aller Kühnheit auch klug!« Sie küsste ihn erneut, wandte sich ab und verließ eilig das Gesindehaus.
Einen Augenblick stand Hartmann einfach nur da - er fühlte sich völlig überrumpelt. In den vergangenen Monaten hatte er viel Zeit mit Johanna verbracht; gemeinsam hatten sie komponiert und gedichtet. Dabei hatte er sehr wohl gemerkt, dass sein Erfindungsreichtum sie beeindruckt hatte, aber er hätte niemals für möglich gehalten, dass sie ihn körperlich anziehend fand.
Plötzlich bemerkte er, wie der Schweineknecht verächtlich ausspuckte. »Hast dich von Anfang an für etwas Besseres gehalten«, sagte er hasserfüllt. »Dabei bist du nichts als der Speichellecker des Herzogs.« Der Bursche, der ihn wachgerüttelt hatte, legte ihm die Hand auf den Unterarm, um ihn in seinem Redeschwall zu bremsen. »Ach, lass mich! Dieser Wichtigtuer! Unsereiner arbeitet sich den Rücken krumm und bekommt nur Abfälle zum Fressen und der da... Einer muss es ihm doch sagen, ein Speichellecker ist er, sonst nichts, und jetzt schmeißt er sich auch noch an die Hofdamen ran. Verfluchter Schleimscheißer!«
Hartmann hatte längst begriffen, dass man nicht mit jedem in gutem Einvernehmen leben konnte. Ruhig stopfte
er das Seidentuch in den Handschuh und sagte: »Du arbeitest doch gar nicht: Du liegst immer nur besoffen herum und lässt andere für dich schuften. Bisher hab ich stets versucht, friedlich mit dir auszukommen, aber ich denke, dass es ohne deutliche Worte nicht geht: Wenn ich noch ein einziges Mal erfahre, dass du freche Lügen über mich verbreitest, bist du die längste Zeit Schweineknecht gewesen. Du kannst mir ruhig glauben, dass ich genug Einfluss habe, um die Entlassung eines faulen, diebischen und bösartigen Trunkenbolds zu erwirken. Hast du das jetzt verstanden?«
Hartmann starrte den Schweineknecht so lange an, bis dieser den Blick senkte, dann drückte er sich unter dem niedrigen Türrahmen hindurch und trat auf den Burghof, wo ihn der Tag verheißungsvoll empfing.
Zwei Kämpfe hatte Friedrich der Schwarze schon für sich entschieden. Hartmann musste sich bereithalten. Rechts von ihm floss die Dreisam vorüber, links von ihm, am Fuß des Schlossbergs, stand die Tribüne. Vor ihm ritt sein Herausforderer gerade gegen seinen dritten Gegner an, einen Edlen aus staufischem Gefolge. Unter den Hufen flogen Grassoden auf, die Erde bebte.
»Du kannst beruhigt sein«, sagte Burkhard. Er prüfte den Sitz des Zaumzeugs, zurrte den Sattelriemen fest und strich mit den Fingern über die Lanzen, um etwaige Bruchstellen ausfindig zu machen. »Es ist alles in bester Ordnung. Deine Ausrüstung ist in einem tadellosen Zustand. Aber vorsichtshalber sehe ich lieber nochmal nach. Ja, ja, das sollte ich tun...«
Hartmann bemerkte, wie seine Finger zitterten. Er ballte seine Hand zur Faust, aber es half nichts - der nervöse
Tick hielt an. Der Marschall hatte ihm einmal erzählt, dass sich die Furcht ganz unterschiedlich zeigen würde. Einige Männer würden am Vorabend der Schlacht ausgelassen feiern, andere würden sich in den Schlaf weinen, einige wären sehr still und wieder andere würden Streit suchen. Der Marschall hatte auch gesagt, dass es vollkommen gleichgültig sei, wie ein Mann sich vor den Kampfhandlungen geben würde. Entscheidend wäre allein, dass man sich auf ihn verlassen könnte, wenn es ernst werden würde.
Vom Fluss kamen zwei Gestalten heran. Als sie nur noch zehn Pferdelängen entfernt waren, erkannte Hartmann seinen Vater und Bruder.
Dankwart war hager geworden. In dem weiten Ausschnitt seines Wamses zeichnete sich das Brustbein deutlich unter der glänzenden Haut ab. Nur die blauen Augen hatten nichts von ihrer stechenden Klarheit verloren. »Was ist geschehen, mein Sohn?«
Zum ersten Mal, seit Hartmann denken konnte, richtete der Vater eine Frage an ihn. Der Moment ergriff ihn und für einen Moment fühlte er sich schwach. Er musste an die Edelleute denken, die größtenteils auf ihn herabsahen, an das Gesinde, das ihn für einen Emporkömmling hielt, und an den Herzog, der ihm jederzeit seine Gunst entziehen könnte. Sosehr er sich auch wünschte, sich alles von der Seele zu reden, so klar war ihm auch, dass Klagen ihm nicht weiterhelfen würden. Längst hatte er begriffen, dass jeder Pfad eine Licht- und Schattenseite hatte. Überließ er sich
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