Der Minnesaenger
wildem Galopp vorbeischoss, setzte der Schwarze ihm nach und nahm die Verfolgung auf.
Hartmann konnte nicht sehen, wie nah Friedrich ihm auf den Fersen war, aber er hörte den trommelnden Hufschlag. Er wollte sich umblicken, aber der Helm verdeckte ihm die Sicht. Hitze sammelte sich unter dem Stahl und der Schweiß floss ihm in Strömen hinab. Immer weiter trieb er das Pferd. Sobald er es zum Stehen brächte, um sich dem Schwarzen zu stellen, würde der ihn aus dem Sattel stechen. Was sollte er nur tun? Hartmann lenkte den Braunen nach links - Richtung Schlossberg; dann nach rechts - Richtung Dreisam. Im Zickzackkurs, so glaubte
er, würde er den Gegner abschütteln können. Der Knappe des Schwarzen grölte ihm etwas zu. Erst als er den Kopf wandte und über die Wiese zurückblickte, wurde ihm klar, dass Friedrich die Verfolgung längst aufgegeben hatte. Er war umgekehrt, hatte in der Mitte des Kampfplatzes Aufstellung bezogen und fragte nun das Publikum: »Bin ich wirklich so schrecklich, dass man das Weite suchen muss, ehe der Kampf angefangen hat?« Die Zuschauer lachten.
Vor der Tribüne trieben zwei Narren Schabernack. Einer markierte mit seinen Finger die Hörner eines Stieres und scharrte mit den Löffelschuhen. »Hasenfuß, Hasenfuß!«, rief er und trieb den anderen Narren vor sich her. Mit einer Fistelstimme rief der Verfolgte: »Oh nein, oh nein, bitte nicht!«, bis er plötzlich stehen blieb und das karierte Trikot über den Hintern lupfte. Als der Stier ihn auf die Hörner nahm, rief er: »Oh ja, oh ja, bitte fester.« Der Schwarze lachte grölend und von der Tribüne hagelte es Kommentare.
»Was erwartest du auch«, rief ein Zuschauer, »wenn du gegen Kinder antrittst! Fordere das nächste Mal einen Mann und keinen Säugling.«
»Und wer soll dieser Mann sein?«, fragte der Schwarze und richtete die Lanze gegen den Zuschauer. »Willst du gegen mich antreten? Wer so laut rufen kann, kann mit Sicherheit auch kämpfen.« Der Zuschauer wich aus, aber der Schwarze stach ihm erneut in die Brust. »Wenn das eine Forderung war, so nehme ich sie an. Du hast mich beleidigt, hast behauptet, dass ich Kinder zum tjost fordere. Bekräftige nur vor allen, was du gesagt hast, und hol dein Pferd.«
»So war es doch nicht gemeint, ich sagte doch nur...«
»Was meintest du? Dass du zu feige bist, um gegen mich anzureiten? Hast du dich nicht gerade selber der Feigheit bezichtigt?«
Unterdessen ritt Hartmann zu seinem Lager. Während sein Bruder ihm Anfeuerungen zurief, stand sein Vater vollkommen ruhig da und sah ihn nur an. Instinktiv erfasste Hartmann, warum er so gefasst war. Er hatte etwas in seinem Jüngsten entdeckt, was er von sich selbst kannte. Er wusste, dass er nicht aufgeben würde, er wusste es, weil er, Dankwart, in einer vergleichbaren Situation auch nicht aufgegeben hätte.
»Was ist los?«, fragte Burkhard an seiner Seite.
»Ich muss den Helm loswerden«, erwiderte Hartmann. »Ich kann nichts sehen.«
»Aber er schützt dich vor Kopfverletzungen!«
»Nun mach schon.«
Mit deutlichem Widerstreben kam Burkhard der Bitte nach.
Der Wind kühlte Hartmanns Gesicht und trocknete den Schweiß. Jetzt fühlte er sich freier und schon gab er dem Pferd die Sporen. »Ihr habt mich noch nicht geschlagen, Herr Friedrich.«
»Nun seht euch das an«, rief der Schwarze. »Der Junge hat wenigstens Mut!« Damit zog er die Lanze von der Brust des Zuschauers, riss das Pferd herum und sagte zu Hartmann: »Dieses Mal wird es keine Finten geben. Ein schönes Schwert hängt dir da vom Gürtel. Ein Geschenk des Herzogs, nicht wahr? Wird einen stattlichen Preis erzielen!«
Schnell bezogen die beiden Aufstellung. Ihr Anritt war
rasend. Der Wind trieb Hartmann die Tränen aus den Augen. Der Rhythmus der Hufe wurde zum Schlag seines Herzens; ihm war, als spürte er selbst den Boden unter seinen Füßen. Alles verschmolz zu einer Einheit. Da traf die Lanze auf seinen Schild; die Spitze rutschte ab, zerriss die Glieder seines Kettenhemdes und wirbelte ihn herum. Fast wäre er gestürzt, aber er drückte die Schenkel mit aller Kraft zusammen. Eilig wendete er das Pferd. Von der Tribüne tönten Anfeuerungsrufe. Was riefen sie? Es waren nur Fetzen, die er verstand. Ach, sollten sie doch denken, was sie wollten. Er allein wusste, dass er kein Feigling war.
Hartmann ignorierte den Schmerz und rammte dem Pferd die Sporen in die Flanken. »Heja!« Er fühlte sich, als hätte er nie etwas anderes getan. Sein Leib war die Lanze,
Weitere Kostenlose Bücher