Der Minnesaenger
sich, wie der Herzog reagieren würde, wenn er versagen sollte. Er trug die gesamte Verantwortung und wieder einmal wurde ihm bewusst, wie sehr er von der Gunst seines Dienstherrn abhängig war.
Burkhard schloss zu ihm auf. Er schien das Gespräch zu suchen. »Wir sind doch vom gleichen Alter!«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Hartmann.
»Sieh mich an! Ich hab mir ein Weib genommen, das mir die Wirtschaft führt und mir einen Sohn und eine Tochter geschenkt hat. Vielleicht solltest du auch sesshaft werden.«
»Wie stellst du dir das vor? Die Frauen, die ich in meinen Liedern besinge, sind von edler Abstammung. Es gefällt ihnen, wenn ich für sie singe, aber keine von ihnen käme jemals auf die Idee, mich zu heiraten.«
»Du sollst auch kein Edelfräulein nehmen, sondern ein Weib von unserem Stand.«
»Burkhard, ich habe kein Haus, nicht einmal einen eigenen Herd! Soll sie im Gesindehaus schlafen und sich vom Schweineknecht begaffen lassen?«
»Wenn du dem Herzog erzählen würdest, dass du heiraten möchtest, würde er dafür sorgen, dass du die Tochter eines unfreien Lehnsnehmers bekommst. Dann wärst du dein eigener Herr und hättest ein Heim.«
»Nein, ich würde eine Ehe nur aus Neigung eingehen. Was nützt es mir, wenn ich tagein, tagaus mit einem Weib verbringen muss, das ich nicht liebe?«
In Ufernähe trieb ein Fischerjunge in einem Einbaum vorüber und winkte ihnen zu. Burkhard grüßte zurück. »Ich werde einfach nicht schlau aus dir, Hartmann! Du weißt so viel über die Minne und alle ihre Auswirkungen. Du hast sogar das Klagebüchlein darüber geschrieben. Deine Worte klingen durchdacht, aber solange ich dich kenne, konnte noch keine Frau dein Herz berühren.«
Einmal schon , dachte Hartmann. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als sie vom Gewitter überrascht worden waren und im Heuschober Zuflucht gesucht hatten. Während der Platzregen aufs Dach getrommelt war, hatte er seinen ganzen Mut zusammengenommen und Judith ein Lied vorgesungen. Mit ihr hatte er die reinsten Momente seines Lebens verbracht. Er hütete die Erinnerung an ihre Begegnungen wie einen Schatz und teilte sie mit niemandem.
Sie war sein Refugium, sein Rückzugsort und seine Hoffnung. »Um die Zusammenhänge zu begreifen und sie in Liedern auszudrücken, reicht es vollkommen aus, ein guter Beobachter zu sein«, sagte er.
»Das glaubst du doch selber nicht«, meinte Burkhard.
3.
Mitten in der Nacht schob Dankwart die Decke von sich, setzte die Füße auf den körnigen Lehmfußboden und knetete die schmerzenden Waden. In seiner Jugend war er ein geschickter Waldläufer gewesen, der schnell und sicher weite Entfernungen zurücklegen konnte. Heute waren seine Beine so knorrig und spröde wie die Äste eines abgestorbenen Baumes.
Agnes stöhnte im Schlaf und Dankwart wandte sich ihr zu. Lange war er wütend auf sie gewesen, weil ihre Leidenschaft verraucht war, und er hatte sogar erwogen, seine Befriedigung bei einer Hure zu suchen, aber er hatte nur zu gut gewusst, dass sie ihm keine Erleichterung verschafft hätte. In der flüchtigen Umarmung hätte er Agnes’ Hingabe gesucht und doch nicht gefunden. Das Gefühl des Alleinseins wäre nur noch stärker geworden.
Verwundert stellte Dankwart fest, dass seine Verbitterung verflogen war, und ein starkes Gefühl der Verbundenheit wallte in ihm hoch. Hier lag die Frau, die ihm vier Kinder geboren hatte, die ihr ganzes Leben an seiner Seite zugebracht und stets zu ihm gehalten hatte. Er konnte kaum glauben, wie töricht er gewesen war, nur weil sie ihn zurückgewiesen hatte! Dabei hatte er nie daran gezweifelt, dass sie ihm von Herzen zugetan war. Warum fügte
man gerade den Menschen, die man am meisten liebte, die tiefsten Verletzungen zu?
Dankwart zog die Wolldecke über ihre Brust, damit sie sich nicht verkühlte. Verzeih mir , dachte er, dass ich ein solcher Narr war. Verzeih mir all die Jahre, in denen ich schweigsam und eigenbrötlerisch war, in denen ich mich alifgiführt habe wie ein schmollender Knabe. Du sollst wissen, dass es nie eine andere Frau gab. Vom ersten Tag an warst du die Mitte meines Lebens.
Dankwart hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, verließ das Steinhaus und blieb abrupt stehen. Mitten auf dem Hof stand Leutfried mit einer Fackel in der Hand. Rote und gelbe Lichtflecken huschten über sein Gesicht. Dankwart erinnerte sich, dass er Ähnliches schon einmal erlebt hatte. Vor vielen Jahren war ihm sein Knecht im Traum erschienen und hatte ihm
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