Der Minnesaenger
die Geburt seines zweiten Sohnes angezeigt. Wenn er damals den Beginn des Leben angekündigt hatte - welche Bedeutung kam seinem Erscheinen heute zu?
»Was stehst du hier herum?«, fragte er ihn.
»Ich konnte nicht schlafen, Herr, und plötzlich wusste ich, dass Ihr in dieser Nacht ausreiten würdet. Meistens kamt Ihr in meine Hütte, um mich zu wecken. Manchmal zogt Ihr es vor, alleine durchs Schwabenland zu ziehen. Heute Nacht wollte ich sichergehen, dass Ihr mich mitnehmt.«
Hier und jetzt ging etwas vor, das sich seiner Einflussnahme entzog. Für einen Moment wollte Dankwart zurück ins Steinhaus gehen, sich zu seinem Weib legen und den hellen Morgen abwarten, aber er wusste nur zu gut, dass niemand vor seinem Schicksal davonlaufen konnte. Früher oder später ereilte es einen doch. Ruhig schritt er
auf Leutfried zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Was haben wir nicht alles zusammen erlebt? Wie viele Gefahren haben wir nicht gemeinsam durchgestanden?«
»Ja, Herr!«
»Gib mir die Fackel. Dann geh und sattele die Pferde.«
Während Leutfried zum Stall schlurfte, nahm Dankwart sein Heim in Augenschein. Hier war er aufgewachsen, hier hatten Agnes und er ihr Leben zugebracht und hier hatten sie ihre Kinder großgezogen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er morgen mit seinem Sohn Heinrich die Achse des Ochsenkarrens erneuern wollte - ein junger Stamm war bereits zugeschnitten. Eigentlich eilte die Reparatur nicht , dachte er. Die Ernte lagerte längst im Vorratsstall. Getreide, Äpfel und Zwiebeln würden die Familie bis in den Sommer hinein ernähren.
Als er sah, wie Leutfried Hengst und Ackergaul aus dem Stall führte, fühlte er plötzlich eine Leichtigkeit, wie er sie zuletzt als junger Mann erlebt hatte, in einer Zeit, als er auf Vergnügung aus war und frei von jeglicher Verantwortung. Ohne zu zögern, versenkte er die Fackel in der Regentonne und wuchtete sich in den Sattel. »Lass uns die Handelsstraße durch den Schwarzwald nehmen!«, rief er seinem Knecht zu.
Auf ihren Ausritten hatten er und Leutfried schon so viel erlebt. Einmal waren sie zu den Adlerhorsten auf dem Feldberg hinaufgeklettert; ein anderes Mal trieb es sie bis an die Ufer des Bodensees, wo sie mit einem selbst gebauten Floß zu einer Insel übersetzten, auf der die Mönche ein Kloster erbaut hatten. Wer konnte schon sagen, was sie dieses Mal erwartete?
4.
In Köln holte Hartmann ein goldenes, mit Rubinen besetztes Kreuz ab, das er dem Bruder des Zähringers als Geschenk mitbringen sollte. Bei Aachen schlugen die Männer ihr Nachtlager auf und noch vor dem Morgengrauen setzten sie ihre Reise fort. Stunden später überquerten sie die hügeligen Ausläufer des Hohen Venn. Die Pferde schnaubten vor Anstrengung und der Schaum tropfte ihnen vom Maul, aber der Marschall gestattete keine Pause. Am Nachmittag verließen sie endlich den grünschwarzen Tannenwald. Der Höhenzug war mehrfach durchbrochen und am Klippenrand war der Blick über das Maastal überwältigend.
»Hartmann«, sagte der Marschall, während ihnen eine kräftige Böe ins Gesicht blies. »Ich habe deine Entwicklung mit Wohlwollen verfolgt und mittlerweile bist du ein gestandener Mann. Bei solchen Missionen weiß man nie, worauf sie hinauslaufen. Du sollst wissen, dass ich alle deine Entscheidungen mittragen werde, auch wenn das bedeutet, dass wir kämpfen müssen.«
Dass ein so kluger und erfahrener Krieger in dieser Weise mit ihm sprach, machte Hartmann sehr stolz. »Ich danke Euch!«, sagte er ergriffen.
Auf dem schmalen, gewundenen Felspfad lenkten die Männer ihre Pferde in die Tiefe. Ein einziger Fehltritt konnte genügen, um in den Abgrund zu stürzen. Je näher sie dem Bischofspalast kamen, desto mehr zog sich Hartmann in sich selbst zurück. Er musste Rudolf von Lüttich für die Pläne seines Bruders, des Herzogs von Zähringen, gewinnen. Seine Diözese und das Erbe des Grafen
Heinrich von Namur stellten das Bindeglied zwischen dem Reich Bertholds und der Grafschaft von Boulogne dar.
Zum zwanzigsten Mal rief er sich ins Gedächtnis, was er bei Bruder Stephan über den Kirchenmann in Erfahrung gebracht hatte: Unter vorgehaltener Hand wurde Rudolf von Lüttich spöttisch als »ruhmvoller Simonist« bezeichnet, was bedeutete, dass er im Erwerb geistlicher Güter wie Sakramente und Kirchenämter und weltlicher Sachen, die mit einer geistlichen verbunden waren wie Pfründe und geweihte Gegenstände, maßlos war. Nach katholischem Kirchenrecht war Simonie
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