Der Minus-Mann
erschoß ihn mit sechs Schüssen. Jetzt wartet er auf seinen Prozeß vor dem Schwurgericht.
Loisl spricht nicht darüber, was er denkt … ob er sich rächen wird … allgemein wird es erwartet, aber später … Ich drehe mit Karrer meine Runden. Er macht mir Vorwürfe wegen München.
»Warum bist net noch Düsseldorf kumman, Geld gnua, und die Krampf san vurbei«, sagt er.
Unter meiner Zelle liegt Vickerl. Ich pumpe das Wasser aus dem Klosett.
»Wos macht mei Oide … mia homs dazöhlt, si kreut mit so an Eiaschedl umanaunda«, sagt er. Er hat vier Jahre wegen Scheckbetruges und zweifelt sehr am Durchhaltevermögen seines Pferdchens. Natürlich ist sie mit einem anderen zusammen … einem Riesen mit Abortdeckelhänden und Birnenkopf … aber das sage ich ihm nicht …
»Ich habe sie immer nur allein getroffen«, sage ich, aber es zieht nicht mehr, sein Mißtrauen ist zu groß. Andere haben ihn genau informiert.
»I muaß aussi«, sagt er, und dann folgt im ausgewählten Vokabular eine Beschimpfung, die sogar die Häuslratten erröten läßt.
Die Tage im Gefängnis, sind es nicht immer gleiche Tage? Anhäufungen von Vergänglichkeiten, monotone Vervielfältigungen, nicht unterscheidbar. Leerläufe in Zwang und Gewohnheit.
Cha-cha darf mich nicht besuchen. Sie ist Belastungszeugin … sie hat im Dezember vergangenen Jahres eine umfangreiche Aussage über die Vorfälle in München gemacht.
»Ich habe nichts zu sagen«, sage ich dem Untersuchungsrichter.
»Mir ist das egal, ich habe Zeit«, sagt er und hält Cha-chas Briefe zurück.
Mutter besucht mich. Das Mädchen sitzt am Gang und weint, jetzt tut es ihr leid. Novaks Untersuchungsrichter ist noch entgegenkommender. Er erhält die Briefe seiner Frau einen Monat nach dem Aufgabedatum, besuchen darf sie ihn ebenfalls nicht. Wir hocken aufeinander, und Monate vergehen.
Ende Oktober flattert ein Wisch in die Zelle: Berufungsverhandlung wegen der Prügelei mit den Polizisten, einen Tag später ein zweiter: Berufungsverhandlung wegen des Einbruchs auf der Wollzeile … man hat mich in Abwesenheit zu sieben Monaten Kerker verurteilt, nach der Verhaftung habe ich dagegen Berufung erhoben.
Zuerst sind die sieben Monate an der Reihe.
Die Berufung ist vor einem Sechsrichtersenat am Oberlandesgericht. Mit Handschellen bringt man mich zum Justizpalast. Vor dem Podium löst man mir die Fesseln. Der Vorsitzende des Senats heißt Lieberich und wird allgemein von den Häftlingen als Blutrichter bezeichnet.
Mein Rechtsanwalt stammelt etwas von Aussichtslosigkeit … die Vorstrafen … dieser Vorsitzende … er zuckt die Achseln. Ein breiter, fleischiger Schädel über dem Talar. Er spricht nicht, er knurrt … ein Bullenbeißer; Augenschlitze, versackt in Fett und grimmigen Falten.
Ich beerdige mein Chancen. Der Oberstaatsanwalt betrachtet mich wie ein lästiges Insekt, dann spricht er, scharf und aggressiv.
»… und ist diese Berufung zu verwerfen«, sagt er und rafft die Falten seines rotbesäumten Umhangs.
Der Rechtsanwalt spricht danach. Er bringt Einwände, logisch und glaubhaft … er spricht gegen eine Wand … gegen sechs Gesichter, steinern und gelangweilt. Einer schläft. Er sitzt links außen und ist schon sehr alt … Justitia hockt am Bidet und seift sich die entehrte Spalte …
Die Richter beraten eine Minute …
»… und wird die Berufung verworfen«, knurrt der Lieberich, Oberlandesgerichtsrat und Senatspräsident. Handschellen, Achselzucken der Beamten, dann schließen sich die hohen, dunkelgrünen Tore des Landesgerichtes wieder hinter mir. Zwei Tage später, die nächste Verhandlung. Wieder Handschellen und ein riesiger Raum, leere Bänke, hinter dem Richtertisch sechs Gesichter, es scheinen dieselben, doch nein. Der Vorsitzende, groß, schlank, lebhaft, erhebt Anfrage, warum die beiden Vorfälle nicht gemeinsam verhandelt wurden … Paragraphen rasseln … der Oberstaatsanwalt räuspert sich gravitätisch und beantragt eine … Verminderung der Haftstrafe …
»… und wird zu einem Monat Kerker verurteilt«, sagt der Vorsitzende . Zwei Monate sind weggefallen, einen Monat habe ich im Sommer in Untersuchungshaft verbüßt, das wäre erledigt. Ich freue mich gemäßigt, wie dies in solchen Hallen ansteht; bei einer Rechtsprechung, wo selbst der Freispruch einen Makel bedeutet, da er mangels ausreichender Beweise verkündet wird.
Dann hocke ich wieder in der Zelle und warte. Ein Rechtsanwalt kommt, schüttelt mir die Hand, fragt, wie es mir
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