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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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geht, ist uninformiert, kassiert fünfhundert Schilling und verschwindet wieder.
    Cha-cha schreibt aus England, dann aus Italien. Sie reist mit Kunden, und ich kaue an meinen Fingernägeln.
    Nach fünf Monaten kommt Antwort von der Staatsanwaltschaft.
    »… mangels eines strafbaren Tatverhaltes wird das laufende Verfahren gegen Sie eingestellt … das Verfahren wegen Zuhälterei wird an das Bezirksgericht überwiesen …«, sagt mit süßsaurem Lächeln der Untersuchungsrichter und schließt meinen Akt.
    Das Weib mit den verbundenen Augen, der Waage und dem Schwert ist eine launische Hure … jetzt schläft sie mit mir … und hat mir nicht den Schwanz abgeschnitten …

Vickerl ist tot.
    Sie haben ihn in den Rücken geschossen. Er hat bei einer Ausführung ins allgemeine Krankenhaus versucht zu fliehen. Er riß sich von den Beamten los und sprang aus einem Fenster aus dem ersten Stock in den Hof hinunter. Der Beamte beugte sich aus dem Fenster und schoß ihm nach. Er schoß ihn durch den Rücken ins Herz. Er war sofort tot.
    »Mörder … Mörder«, schreit Karrer beim Hofgang zu den Beamten. Eine verstärkte Wachabteilung zieht auf, dumpfes Murren verebbt.
    Widerstand führt zu nichts. Nur zu neuerlichen Beschränkungen,
    in dieser, der beschränktesten aller denkbaren Lebensformen. Loisl zittert vor unterdrückter Wut, seine riesigen Schultern biegen sich hilflos.
    Die Bullen spüren den Haß, mißtrauisch beäugen sie die Masse Mensch in den engen Betonvierecken.
    Täglich stellen sie die Zellen auf den Kopf, filzen und brüllen, die Hand am Gummiknüppel.
    Die Hektik versickert. Geballte Fäuste bleiben geballt … in den Hosentaschen.
    Sie haben zu viele Möglichkeiten, Besuchssperre und Einkaufssperre, zu filzen, nehmen jeden Bleistiftstummel, jede Zeitung, jedes Stück Papier weg.
    Für Aus-dem-Fenster-Rufen gibt es acht Tage Einzelhaft in feuchten Zellen im Keller oder den Beton- und Gitterbunkern am Parterre E.
    Cha-chas ›Geschäftsreisen‹ gehen mir an den Magen, ihre Briefe sind kalt wie ein Schlangenfurz. Nebel und Schneeregen. Ich schreibe an den Richter, daß man mir die fünf Monate U-Haft auf die sieben Monate für den Einbruch anrechnet. Genehmigt.
    Wenige Tage später schickt man mich in ein anderes Gefängnis. Hardtmuthgasse – im zehnten Bezirk, ehemaliges Jugendgefängnis, fließendes Warm- und Kaltwasser, Einzelhaft, Kopfschmerzen – und täglich sechs kleine, gelbe Wunderblättchen – dreißig Milligramm Valium.
    Cha-cha kommt auf Besuch. Weißhäutig, langhaarig und fremd steht sie hinter der Barriere, redet leise in meine überquellende Freude.
    »Komm bald, ich habe Angst vor dem Alleinsein«, sagt sie.
    »Ich komme, zwei Monate noch«, sage ich. Das Weihnachtspaket kommt am 24. Dezember zu Mittag, ich habe es schon abgeschrieben, dann liege ich im Bett. Die siebente Weihnacht im Gefängnis. Der Januar zieht sich. Mutter liegt wieder im Spital. Wieder ein kleines Gewächs in der Achselhöhle. Sie schreibt lange Briefe:
    »…  wirst du mit Gottes Hilfe doch auf den rechten Weg finden …«, steht da.
     … der rechte Weg … ist ein geheimnisvoller Pfad … handbreit manchmal nur … der Anfang liegt in mir …
    Am 20. Februar verurteilt mich ein griesgrämiger Richter zu einem Monat Arrest wegen Zuhälterei …
    und am 23. Februar werde ich zum zweitenmal Vater. Ein rotgesichtiger Fürsorgerat setzt mich in Kenntnis, daß ich im Februar 1963 Vater eines Mädchens wurde. Aufgrund äußerst verzwickter Umstände sei man aber erst jetzt daraufgekommen, daß ich der Vater wäre. Ich bin belämmert, versuche zu erinnern. Er kramt in einer Aktentasche und liest aus einem Akt Namen und Daten, vergeblich, ich weiß es nicht mehr.
    »Das ist unmöglich«, sage ich. Er lächelt mild, scheint solche Antwort gewohnt.
    »Wir haben eine erbbiologische Untersuchung beantragt«, sagt er und schüttelt mir zum Abschied kräftig die Hand.
    Cha-cha ist beim Besuch nervös und abwesend.
    Mutter schreibt, es geht ihr besser. Der März kommt mit unverständlich heißen Tagen. Meine Enthaftung ist fällig. Ich urgiere, niemand weiß etwas. Die Beamten zucken die Schultern. Von einem Hausarbeiter, der entlassen wird, besorge ich mir mit Schwierigkeiten eine Spritze und sechs sterile Injektionsnadeln.
    Eine Stunde vor dem Wecken spritze ich mir eine geringe Menge Nitroverdünnung in die Lunge.
    Ein glühender Stich im Brustkorb, den Spritzenzylinder werfe ich ins Klosett. Nach vier Stunden bringt man mich

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