Der Minus-Mann
froh«, sagt sie, und ich weiß, daß da nichts mehr ist.
»Du bleibst bei mir«, sage ich.
»Ja«, sagt sie.
»Du gehst wieder ins Amt«, sage ich.
»Ich weiß«, sagt sie.
Am Abend steht sie auf der Kärntner Straße, dann kommt sie mit Tausend. Wir schlafen in einem der Hotels, wo mich niemand nach einem Ausweis oder Namen fragt. Sie verdient, manchmal muß ich sie eine Stunde abreiben, bis sie auftaut, die Nächte sind eisig. Sie beklagt sich nie, weint nie. Wir leben in Hotels. Ich kaufe mir ein Auto, und wir wohnen dann außerhalb der Stadt.
Ich trinke Barrak und vergesse die Polizei, die Gefängnisse und daß mir die Scheiße im Gehirn schwappt.
Ich breche die Kontakte zu allen Bekannten ab, manchmal, nachts, besuche ich Mutter.
Einmal noch besuche ich meine Frau, die Kleine, dann die Scheidung.
Sie erzählt es mir am Vormittag im Prater. Schattenscheiben wandern über die Bespannung des Kinderwagens.
»Ist es jetzt zu Ende«, sagt sie.
»Ja«, sage ich, dann zerreißt auch dieser Faden.
Cha-cha und ich baden, wandern in der Sonne, und abends promeniert sie anderwärtig.
Eine kleine, geiläugige Spießbürgerin läuft mir nach. Ich bin ungeduldig und brutal … im Schock will sie nackt aus der Wohnung laufen … ein Zahn fällt ihr aus dem Mund, auf den Asparagus. Ich vergesse sie sofort.
Angenehme Weibchen laufen mir über den Weg, dann wird Cha-cha mißtrauisch.
»Du betrügst mich«, sagt sie geziert.
»Ja«, sage ich. Sie ist bockig. Zwei Tage verdient sie wenig. Ein Sonnentag, ich küsse ihre Wünsche von den Wimpern, einige aufmunternde Ohrfeigen, dann spurt sie wieder und bringt sechzehnhundert im Schnitt. An der Flughafenmauer in Schwechat zertrümmere ich mein Auto.
Dann treffe ich Malin. Wir kennen uns von Stein. Er redet hastig, ist nervös und unsicher. Sein Problem, ein Mädchen, Studentin, gebildet, kultiviert, arrogant, spielt mit ihm, der von acht Jahren Zuchthaus kam, bestellt ihn zum Rendezvous, läßt ihn brav wie ein Hündchen warten. Er erzählt, trinkt schnell.
»Ich liebe sie«, sagt er hoffnungslos.
Das Weib ist geil wie Schaumcreme und hart wie ein Diamant. »Ich will vor allem frei sein, wenn ihm das nicht paßt, kann er gehen«, sagt sie zu mir und greift mir unter dem Tisch auf den Schenkel. Es ist sinnlos, und ich sage es ihm. Es ist ihm egal.
Es ist der 10. Juli 1969, und ich bin mit Cha-cha bei Mutter. Sie ist ängstlich.
»Sei vorsichtig, sie passen sehr genau auf«, sagt sie.
Ihr halbes Lächeln begleitet Cha-cha und mich bis zur Gartentür.
Unmittelbar darauf kommt der Bus. Ich hebe die Hand, der Fahrer hält, die Preßluft zischt, klappernd schwingen die Türen auf. Das Mädchen steigt vor mir ein, löst für uns beide die Karten. Ich setze mich weit nach hinten, neben den zweiten Ausgang. Cha-cha kommt, der Wagen fährt an.
»Dort«, sagt sie, und ihre Hand zeigt nach rückwärts.
»Das war doch ein Gendarm.«
Ich drehe mich schnell in die Richtung, sehe niemanden … habe auch kein schlechtes Gefühl … nichts signalisiert.
»Du siehst Gespenster«, sage ich und ziehe sie neben mich.
Es sind keine Fahrgäste im Wagen. In Neudörfl steigen zwei ältere Frauen ein, setzen sich auf die Sitzbank hinter dem Fahrer. Der Bus fährt über die Leitabrücke.
Sonnenglast liegt über den Feldern. Plötzlich ist das Signal stark und ausgeprägt hinter meiner Stirn. Das Mädchen spürt meine Unruhe sofort.
»Was ist?« sagt sie leise.
»Wenn sie warten, dann entweder am Hauptplatz oder am Bahnhof. Wir müssen beim Krankenhaus aussteigen«, sage ich. Der Bus fährt an der Station vorbei. Ich bin sitzen geblieben, schaue wie gelähmt zu den verwilderten Sträuchern im Garten der Neuklosterkirche. Die Ampel bei der Grazerstraße zeigt Grün. Der Bus biegt nach rechts auf den Platz ein, fährt entlang der Arkaden, niemand, nichts Auffälliges ist zu sehen.
»Heinz«, sagt Cha-cha. Ich drehe mich zu ihr um, stehe mit dem Rücken zum Fahrer und Eingang. Sie sind drei und sind plötzlich da. Offene Pistolentaschen. Das Mädchen krampft sich an mich.
»Ihren Ausweis«, sagt der eine Polizist. Langsam ziehe ich den Rock auseinander … die Brüder sehen sehr nervös aus … ich möchte nicht irrtümlich erschossen werden … mit spitzen Fingern ziehe ich einen Paß aus der Innentasche …
›Hans Jürgen Koch‹ … steht auf der ersten Seite … der Beamte blättert, die anderen lassen mich nicht aus den Augen … dann klopft er mich sorgfältig ab …
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