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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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starr.
    »Nein. Ich weiß nicht, wie zärtlich er ist. Ich lasse mich von ihm nicht anfassen«, sagt sie.
    »Fragt er denn …?« sagt er höhnisch.
    Sie schlüpft in den Strumpfbandgürtel, dann ins Höschen. Er sieht ihr zu, wie sie die Strümpfe hochzieht und an den Rändern festklemmt. Sein Gesicht ist ohne Ausdruck. Dann zündet er sich eine Zigarette an. Die Frau bürstet ihr Haar.
    »Du bist nicht eifersüchtig … dir geht es darum, ihn zu übertrumpfen; bei allem und jedem, was du tust, zählt nur der Vergleich mit ihm … du vergiftest dein Leben … selbst wenn du lachst, ziehst du dieselben zynischen Falten. Wie, Heinz, wie geht das weiter, sage es.«
    Sie schaut durch den Spiegel zu ihm. Er gibt keine Antwort. »Der Haß kreist dich ein, du bist ungeduldig und aggressiv. Wie du mich das erstemal geschlagen hast, waren Tränen hinter deinen Augen. Du schlägst ihn, immer ihn, wenn du dich prügelst. Was war heute mittag? Ich weiß es schon. In diesem Tratschnest spricht sich alles sehr schnell herum. Dir geht es nicht um das Mädchen – er hat sie dir verboten – und du wirst sie dir nehmen, oder kommst von ihr. Hast du dich bestätigt, sie soll sehr hübsch sein, aber ganz geklappt dürfte es doch nicht haben, sonst wärst du jetzt nicht hier. Dein Vater hat dich gesucht, er war um sechs Uhr hier. Er sagte mir, ihr hättet gestern wieder eine eurer ›ernsten‹ Auseinandersetzungen gehabt. Willst du nicht darüber sprechen, du, steh nicht wie ein Stein da!« Sie rüttelt ihn am Arm, aber er schiebt sie weg.
    »Er verbietet mir jeden Tag etwas, und wenn ihm nichts einfällt, dann blättert er im ›Faust‹, liest mir einige Absätze vor und mit seinem zynischen Grinsen verkündet er dann ein neues Verbot … was soll ich dir sagen … es gibt nichts mehr zu sagen!«
    »Gehen wir«, sagt die Frau und löscht das Licht. Auf der Straße nimmt sie seinen Arm und drückt ihre Brust gegen seinen Ellbogen.
    »Wohin möchtest du gehen?« fragt sie.
    »Mir ist es egal, meinetwegen zum Mundl«, sagt er und deutet auf ein grell beleuchtetes Restaurant an der nahen Kreuzung. Als sie eintreten, rufen und winken von einigen zusammengeschobenen Tischen her junge Leute. Er geht in den rückwärtigen, dunkleren Teil des Lokales. Er beachtet nicht, daß man ihn ruft, daß man ihm winkt. An einem in einer Nische etwas verborgenen Tisch setzen sie sich. Er bestellt Wein.
    Er stürzt ein Glas hinunter. Die Frau legt ihre Hand auf seinen Arm.
    »Ich dachte, du möchtest lachen, dich unterhalten, nicht nur trinken«, sagt sie.
    »Wenn es dich stört, setz dich an einen anderen Tisch, ich bin eben dabei, das große Gelächter vorzubereiten, vielleicht habe ich nur noch nicht den Mut dazu, Geduld, ein bißchen Geduld, du weißt eine Menge vom Leben, ich muß dich dann etwas sehr Wichtiges fragen, Geduld«, die Frau hat ihre Hände um das Weinglas gelegt und sieht ihn ruhig an.
    »Und weiter …«, sagt sie.
    »Was weiter, nichts weiter, du sitzt bei mir, weil du mich liebst, einen Scheißdreck liebst du mich, du meinst es vielleicht gut mit mir, alle meinen es gut mit mir, alle wollen mir helfen, warum helfen, schau mich an, seh’ ich so hilfsbedürftig aus? Ich möchte euch in euer triefendes Mitleid scheißen. Gut meinen, klug reden und ruhig und beherrscht bleiben: ›Er ist so nervös, so aggressiv.‹ Ihr scheißklugen Figuren, meine Eltern, mein Leibpsychologe, diese fette, unfähige Ratte, du, und, und – leckt mich doch am Arsch.
     
    Mich holt auf euer Gutmeinen der Teufel, ich kann nicht mehr atmen, morgen kommt der Psychologe und wird mir die Direktiven des Alten übermitteln: Dein Vater wünscht, dein Vater denkt, dein Vater ordnet an. Fünfzehn Jahre war ich dem Alten scheißegal, und jetzt beginnt er, mich zu erziehen. Seit einem Jahr reden wir kaum noch miteinander, wenn Mutter nicht wäre, aber sie ist so voll Vertrauen und Hilflosigkeit. Ich hätte ihn schon lange erwürgt.« Keuchend stößt er die Worte heraus. Die Frau steht dem Ausbruch wehrlos gegenüber. Er spricht dann leise und abgehackt.
    »Mutter krepiert dabei, aber was zählt das schon? Karin, ich kann nicht mehr schlucken, nicht mehr fressen, verstehst du, es geht nicht mehr.«
    »Du bist sein Sohn, willst du das nicht begreifen, er ist zu verbohrt, um dir nachzugeben, du bist siebzehn, warst im Gefängnis, du, sein einziger Sohn, er ist zu stolz, um einzulenken, willst du nicht vernünftiger sein«, sagt sie langsam und streichelt seine Hand.

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