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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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sieht aus wie ein altes Schlachthaus. Von zwanzig Brausen fehlt bei acht der Zerstäuber. Das Wasser ist meistens lau, manchmal kochend. Nach dem Bad wird gezählt, im Hof. Bei jedem Wetter, meistens dreimal, weil sie eben dumm sind.
    »Dea gaunze Staub in unsarar Zölln kummt von de Deckn«, sagt Walter. Mißmutig betrachtet der den Haufen Staub, den er zusammengekehrt hat. Decken werden nie gesäubert, oder nach einem nicht zu eruierenden Zeitplan, vielleicht olympisch, alle vier Jahre.
    Walter erzählt von seiner Mutter.
    »Wast, wiri von den zwarahoiba hamkumma bin, wias gwant hot und ollas heagricht ghobt hot«, sagt er.
    Hier sitzt bei ihm der weiche Punkt.
    »Wauns olle Wochn kummt, und so kla und hüflos hinta dera Pudl steht, vastehst, do kumm i ma maunchmoi fraunk wira Kibe vua, vü Freid hods net ghobt mit mia«, sagt er nachdenklich und dreht sich eine Zigarette.
    Der ehemalige Untersuchungsrichter, bei der Sache mit meinem Vater, inzwischen Oberlandesgerichtsrat, affektiert und souverän, verurteilt mich zu fünf Monaten schweren Kerker, monatlich verschärft durch ein hartes Lager. Ich nehme mein Tagebuch, den Binkel und gehe in Strafhaft.
    Erster Akt, Arbeitseinteilung.
    Ein uralter Oberstleutnant hockt mißlaunig hinter einem Schreibtisch. Neben ihm steht ein geschniegelter Adjutant, groß, fett und laut.
    »Ich ersuche um eine Beschäftigung, bei der ich meinen Kopf gebrauchen kann«, sage ich. Beide starren mich an.
    »Mit de Vuastrofn, homs Wünsche«, sagt der Oberstleutnant. »Bei uns gengans am Transpuat«, sagt er dann.
    Es hat keinen Zweck, ihnen erklären zu wollen, daß man die Schnauze voll hat, daß man einfach bereit ist nachzugeben, einen vernünftigen Job zu akzeptieren. Ich bin nicht mehr nutzbar, nicht erkennbar. Schweigend gehe ich aus dem Zimmer. Der Oberstleutnant schüttelt verärgert den Kopf.
    »A intelligente Beschäftigung wülla«, sagt er zu seinem Adlatus. Der grinst ölig hinter mir her.
    Zehn Wochen Haft noch vor mir, trotzdem schickt man mich in ein anderes Gefängnis. Kein Brief. Draußen stürmische, sonnenübergossene Tage, Herbst. Nachts wackeln die Türen. Heulendes Pfeifen, den Kopf tief in den raschelnden Polstern, schmecke ich die Einsamkeit.
    Eine Zwölfmannzelle am dritten E, viele Menschen im selben Raum, es ist kaum Kontakt notwendig, jeder steckt in Klarsichtfolie. Es gibt viel Gerede, selten ein Gespräch. Zwei Wochen vergehen. Die Gesichter wechseln. Ich bleibe. Täglich ab siebzehn Uhr röhrt, schreit, soult, knattert der Lautsprecher. Ich liege auf dem Bett, versuche zu lesen. Die Schreiberlaubnis wurde mir wieder weggenommen. Ich bin auf Gemeinschaftshaft. Ich klaue mir Papier, einen Kugelschreiber.
    Tage darauf werde ich ins Landesgericht für Zivilrecht in die Riemergasse ausgeführt.
    »Gebns de Hand hea«, sagt der Beamte. Dann klicken Stahlspangen um meine Handgelenke. Ein zweiter Beamter geht hinter mir. Eskorte wie für einen Raubmörder.
    Die Menschen gaffen, besonders Frauen, schauen, wispern, tuscheln, blöken, weichen aus. Ich mache ein grimmiges Gesicht, klirre mit den Eisen. Fahrt durch den November in der Stadt. Vergangenes an Straßenecken, keine Zukunft vor Augen. Ich sehe Hast, Eile, Gleichgültigkeit. Die Stadt ist fremd, kalt. Manches wärmt, vertraut sticht es aus dem Vielen. Ich drücke die Nase gegen die Scheiben des Wagens.
    Ein Strich Licht, helles Blond, weicher, gebeulter Mund, dann schluckt mich der Gittertempel, das Mutterhaus. Hocken auf den Tischen, den Bänken, den Kopf auf die Hände gestützt, dumpfes, introvertiertes Dämmern und Warten.
     
    November. Abends rolle ich ein Stück Himmel und lege es unter die Zunge.
    Besuch. Der Besuchsraum wurde umgebaut. Der breite, grüne Tisch ist verschwunden. Ein seltsames Gefühl beim Betreten des Raumes. Engmaschige Nylongitter, hellgrün überstrichen, dahinter du. Wir sehen einander, es gibt keine Fingerspitzen mehr, die sich aneinanderlegen. Kaum dringt Hautwärme durch die Maschen.
    Dein Gesicht – Entfernung ist spürbar –, du hast sehr klare Augen. Bleiches Grün, können Worte überbrücken.
    »Ich liebe dich«, sagt Stella.
    »Ich liebe dich«, sage ich.
    Einige Sätze Alltag, das Gesagte verwischt, die Verbindung liegt in den Blicken.
    »Sieben Wochen – noch«, sagt sie.
    Die schrille, feindliche Glocke. In der Zelle weiche ich Gesprächen aus, versuche zu vergegenwärtigen. Die Umgebung ist scharfer Kontrast, ich bin offen. Es ist, als müßte ich den Wind, der

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