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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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fordern mein Gehör.
    »Jetzt hau i mi eine, i muaß weidalesn«, das sagt man, oder ähnliches.
    Weiße Bahnen fallenden Schnees vor dem Fenster. Es verlockt mich zum Träumen. Nur ein weiches, In-sich-Zurückgleiten, als geräuschlose Regeneration, ein geistiges Atemholen. Die Gefangenen um mich sind kindisch, naiv. Über den Betten hängt ein Dutzend Kalender. Jeder Tag wird abgestrichen. Ernsthafte Gespräche haben bei ständiger Lautberieselung keine Chance, sich zu formen. Die Mittelwerte gelten auch hier. Man verkriecht sich hinter Erlebnisspiegelungen, ansonsten Passivität.
    »Kommst du zum Aufwaschen«, sagt der Stubenälteste zu mir.
    »Ja, aber dann wasche ich mit dir die Zelle auf«, sage ich vom Bett.
    Am Montag ist mein Gastspiel in der Firma Bene beendet.
    »Üba ihna hob i a Mödung gschriem«, sagt der Beamte.
    »Das ist es mir wert«, sage ich.
    Dann gehe ich wieder auf die Transportzelle zurück. Bestimme einen, der mir mein Bett macht, und setze mich in die Ecke zur Heizung, dem wärmsten Platz.
    Er hat ein weiches Gesicht und schulterlanges Haar. Er steht beim Fenster und sieht zu meinem Tisch herüber. Sein Binkel liegt neben ihm. Er ist eben in die Zelle gekommen. Seine großen, dunklen Augen erinnern mich an jemanden, ich kann es aber nicht mehr festlegen. Beim Fenster ist ein zweiter Tisch. Vier Gefangene spielen dort Karten. Er steht und schaut unschlüssig. Jeder hat ihn bemerkt. Er sieht aus wie ein Mädchen. Eine greifbare Spannung ist im Raum. Die anderen sehen mich an. Was werde ich tun? Mit mir sitzen Peter, Anton, Karl und Beppo am Tisch, die Führungsgarnitur. Der Rest versucht, durch Dienstleistungen die Erlaubnis zu erlangen, auch einmal in der Nähe der Heizung zu sitzen, da es nur dort warm und angenehm ist. Wir trinken Kaffee und spielen Karten.
    Anton, mittelgroß, bullig, mit Seehundschnauzer, ist mein Partner im Spiel. Er hat noch zehn Monate von seinen zwei Jahren zu sitzen, dann muß er ins Arbeitshaus. Er ist Zuhälter, Dieb und Hehler. Jetzt spielt er eine vollkommen idiotische Karte zur Mitte.
    »Schau da des Gsicht aun, des deaf jo net woa sei, dea schaut aus wia a Madl«, sagt er, und seine deckelgroßen Hände knüllen Karten und klatschen gegen die Tischplatte.
    Der Junge fragt die Gefangenen beim Fenstertisch, welches Bett frei ist. Man zeigt ihm das beim Fenster, in der diagonalen Ecke zur Heizung. Er wirft einen kurzen Blick zu unserem Tisch, dann spannt er die Leintücher, legt die Decken darüber, überzieht den Kopfpolster und setzt sich dann an den anderen Tisch.
    Anton spielt verkehrt aus. Er ist unaufmerksam. Seine Augen wandern zu dem Jungen. Dann wirft er die Karten auf den Tisch.
    »Dea Weibaschedl mocht mi wurlat«, sagt er. Seine Schultern dehnen den Hemdstoff, Fäuste und Unterarme trommeln auf den Tisch. Die Atmosphäre ist verändert. Der Junge sieht unverwandt zu unserem Tisch.
    »Mach Kaffee«, sage ich zu Wolfgang. Er steht und hat zugesehen, faltig, jung, Drahthaare; jetzt nimmt er die Becher und rührt für uns fünf aus miesem Löskaffee eine mörderische schwarze Brühe. Anton dreht sich um.
    »Wüst an Kaffee«, sagt er zu dem Jungen. Der nickt.
    »Nau kumm hea«, sagt Anton.
    Der Junge holt seinen Becher und kommt durch die Zelle zu unserem Tisch. Er stellt den Becher in die Reihe der anderen, dann blickt er mich an.
    Verflucht, ich bin doch nicht schwul, aber in diesen Mund muß ich meinen Schwanz stecken. Ich schütte den heißen, bitteren Kaffee in mich.
    »Dea Bua mocht mi neavös«, sage ich. Er sieht mich noch immer an. Die Art seines Schauens dringt durch die ordinäre, gleichgültige, lautstarke Schmähfolie. Am Rande zaghaft, fast werbend. Zur Mitte sich verdichtend zu Unsicherheit, schmaler Angst.
    »Ich kann wieder weggehen«, sagt er mit weicher, gebrochener Stimme, »wenn ich störe.«
    »Unsinn, du kannst hierbleiben. Du kannst ja nichts dafür, daß du mich nervös machst«, sage ich.
    Anton grinst aufmerksam. Gedämpft klatschen die Karten am anderen Tisch. Der Himmel hängt bleiern hinter dem Gitter.
    »Setz dich da her«, sage ich und deute auf den Platz neben mir.
    Die anderen lachen. Ich schaue in die Runde, das Lachen zerflattert. Ich kenne sie, jeder einzelne von ihnen ist froh, wenn nur ein Fremder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Sie sind dem Häkel, dem Schmäh, den Befehlen entronnen. Die Erleichterung darob ist der Beweggrund für das Lachen und die Vorfreude. Jetzt gibt es was zu lachen, auch für

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