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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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klein. Täglich laufen abends hier die Ratten. Im Küchenhaus vis a vis finden sie genug Abfälle. Die Ratte schleicht an der Mauer entlang bis zur Schattengrenze des Scheinwerferlichtes. Sie schnuppert, pfeift leise. Im Lichtfeld taucht eine Gestalt auf. Die Ratte zuckt zurück, läuft blitzschnell zum Kanalschacht, dort verschwindet sie.
    Der Wachtposten kommt. Das Licht in seinem Rücken malt seine Umrisse drohend und wuchtig gegen die Wände. Er bleibt stehen, sieht zu den Fensterreihen herauf. Die Gebäude stehen eng aneinander. Küche, Bad, Wäscherei, Näherei. Alte, finstere Bauten.
    Um siebzehn Uhr hat der Nachtdienst begonnen. In jedem der Höfe ist ein Wachtposten. Am Dach der Wäscherei in einem Postenhaus sitzt noch einer. Alle sind bewaffnet und mit Sprechfunkgeräten ausgerüstet. Regelmäßig melden sich die Posten über Funk beim Wachkommando. Grelle Scheinwerfer leuchten die Mauern und Höfe nahezu schattenlos aus.
    Ich steige vom Hocker, schließe das Fenster. Das Buch liegt neben mir, die beiden lesen. Dann wird das Licht gelöscht, wir schlafen. Ich sehe Georg zu, wie er verfällt.
    »Du warst schon oft eingesperrt, du verstehst das nicht«, sagt er zu mir.
    Ich gebe keine Antwort. Sie würde ihm nicht helfen. Ich bin ihm fremd. Walter ebenso. Walter ist laut, sein Slang ist breit. Man hört den ›schweren Jungen‹, sein Schmäh deckt fast alle Regungen zu. Verbale Aggression, ständig lauernd auf eine scheinbare Schwäche des vermeintlichen, des ›permanenten‹ Gegners.
    Meine Sprache ist Mittel. Nach Notwendigkeit, Lautstärke und Formulierung. Vielleicht Routine.
    Georg lamentiert. Er hat Angst. Ich rieche sie deutlich, schal und eklig ist sie um ihn. Er weiß nichts davon. Er starrt in seine Hände, geht einige Schritte, sein Gesicht zuckt unbeherrscht. Die Zeit ist für ihn Tortur. Mit klammernden, haltsuchenden Gesten und Worten beschreibt er sein Verhältnis zu seiner Frau. Er schläft kaum, blättert ohne zu lesen in Zeitungen. Jede Stunde reiht er im endlosen Spiel des Zählens aneinander. Er raucht viel und hastig, verbrennt sich die Finger und knickt Zigaretten. Sein Gehen ist verkrampft, seine Hände ständig feucht. Er weint des nachts, ruft Namen, schnellt hoch und gräbt sich dann keuchend in die Decken. Walter sieht mich an. Ich weiß, was er sagen möchte. Georg sitzt am Hocker, er starrt seit Stunden gegen die Wand. Um seinen Mund haben sich scharfe Falten gekerbt. Sein Gesicht wirkt grau.
    Der Arzt schneidet mir die Nähte vom Kopf. Sechs übersieht er. Aber während er schneidet, erzählt er dem Beamten einen Witz. Sie lachen schallend.
    »Das wär’s«, sagt er zu mir.
    Ich betrachte mich im Spiegel. An den rasierten Stellen stehen die Haare kerzengerade in die Höhe. Reste von getrocknetem Blut waren noch unter dem Verband. Ich wasche mir einige Male behutsam den Kopf.
     
    »Besuch«, sagt der Beamte in der Türe. Ich greife meine Jacke, lasse mich filzen, dann gehe ich zum Sprechzimmer.
    Ein breiter, grüner Tisch mit hochgestelltem Brett in der Mitte. Sechs Mann warten nebeneinander. Der Beamte geht zur Türe und ruft die Namen.
    Du bist gekommen. Die grünen, unruhigen Augen, schmale, ineinandergelegte Hände. Fünfzehn Minuten fließen zwischen den Blicken, wenige Worte am Rand. – Ich liebe dich – verborgen und verbohrt, in den Dreck gezerrt, eingesperrt. – Ich liebe dich – voller Wut und Ungeduld, Grausamkeit und Sensibilität – ich liebe dich– krank und atemlos, verzweifelt und voll Angst. – Ich liebe dich – ruhig und klar, zärtlich und voll Begehren. – Ich liebe dich – brutal und feige, roh und aggressiv – ich liebe dich. Das häßliche Schnarren einer Uhr. Sie geht.
    »Rauchns net am Gaung, se, homs net ghert«, schreit der Beamte.
    Nein, habe ich nicht, dann trete ich die Zigarette aus. Sie brüllen und drohen und schlagen, wenn nicht mit dem Knüppel, dann eben ohne, bis zum Ende zuzuhören, einfach die Türe zu. Bast-Kusch. Ständiges Argument. »Wans net heakumma.« Achtzig Prozent sind Schließer, jedes Problem, selbst das einfachste, würde sie überfordern.
    Scheuklappen – dadurch psychischer Terror, verstärkt durch Dummheit und Ignoranz.
    Walter hockt bei der Zinnwanne und spült Trikots im kalten Wasser.
    »Mit dem scheißkalten Wasser wird die gaunze Wäsch grau«, sagt er.
    Für Körper- und andere Wäsche, drei Leute, acht Liter warmes Wasser. Dienstag, Donnerstag, Samstag. Brausen ist alle vierzehn Tage. Der Duschraum

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