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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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draußen tobt, niederschreien.
    Wieder wechseln die Gesichter. Junge, alte, lachende und verbitterte. Sie gehen in andere Strafhäuser. Mich hat man vergessen. Der November geht zu Ende. Abends gespanntes, aggressives Zuhören.
    Zerrender Rhythmus. Die Aggression ist greifbar, unlösbar, unbefreibar. Dann sinke ich zurück in Schweigen und Schlaf: Zerfetzte Wörter liegen in der Dunkelheit.
    »Sie kommen in die Bene«, sagt der Wachinspektor zu mir.
    Der Strafvollzugsleiter hat mir Arbeit gegeben. Ich werde auf eine Achtzehnmannzelle verlegt. Wecken um halb sechs Uhr früh. Kurz nach sechs holen uns drei Beamte. Im Hof wartet ein Autobus, vierunddreißig Gefangene steigen ein.
    Wir fahren in die Firma Bene-Büroordner – zur Arbeit. Das Radio im Bus übertönt meinen knurrenden Magen. Nach dreißig Minuten Fahrt kommen wir in die Breitenfurterstraße, dort gibt es das Frühstück. Ein Becher Tee und zwei Semmeln. Eine weitgähnende Fabrikhalle mit verschiedenen Maschinen. Milchglasfenster versperren den Blick nach außen. Gitter an den Lüftungsklappen. Die Türen sind versperrt. Zwei Beamte und vier Mann Werkspersonal kontrollieren, bewachen, teilen ein. Immer wieder zählt der Beamte die Gefangenen, bis aufs Klosett läuft er ihnen nach. Etwa zwanzig Häftlinge arbeiten an Fließbändern. Dorthin werde ich eingeteilt. Ich sehe mir die Arbeit erst einmal an.
    Für alles ist ein Pensum vorgeschrieben. Jeweils nach Häufigkeit verschiedener Arbeitsvorgänge.
    »Stöns ihna do dazua«, sagt der Beamte zu mir.
    »Wie lange habe ich Zeit, mich einzuarbeiten?« frage ich.
    »Wos haßt einoabeitn, Se mochn ihna Pensum und aus«, sagt er und geht.
    Ich stehe als vierter in der Reihe. Der erste sitzt an der Maschine und stanzt die Verschlußriegel in die Ordner. Der zweite legt die Halterungen ein. Der dritte klemmt ein Beiblatt dazu. Ich habe die Ordner jeweils zu zehn Stück, fünf und fünf, gegeneinander zu stapeln. Der fünfte packt die Ordner in Kartons. Sie arbeiten langsamer, schauen zwischendurch auf mich. Ihre Gesichter deuten Unzufriedenheit.
    Gegen neun Uhr gibt es eine mit Wurstspuren belegte Semmel. Dann weiter, ich versuche automatisch zu arbeiten. Schaue in die Runde. Die Maschinen laufen auf vollen Touren. Die Häftlinge arbeiten wie verrückt, um Zigaretten. Für jedes Tausend mehr gibt es Zigaretten und Zwei-Schilling-Schokoladen. Mittags spüre ich mein Genick nicht mehr. Das Essen ist gut, Kantinenessen. Wo man es ißt, bleibt jedem überlassen. Auf dreckigen Kisten, staubigen Arbeitstischen, aus Blechgeschirren. Die Luft in der Halle ist stickig, verbraucht. Um vier ist Arbeitsschluß. Es gibt zehn Zigaretten. Der Werkmeister tänzelt wie ein Schwuler zwischen den Tischen, in der Hand den Block.
    Dann ab in den ungeheizten Bus. Ich sitze ganz rückwärts. Lichter gleiten in unendlicher Folge vorbei. Der Kopf ist zerhämmert von dem Maschinenlärm. Der Chauffeur schaltet das Radio ein. Dann Filzen und ab in die Zellen, dort dröhnt der Lautsprecher.
    »Die Neichn trogn in Kessl mit Essn«, sagt einer zu mir.
    Ich nehme den Griff, der zweite ist um einen halben Meter kleiner.
    Die Energiekrise ist spürbar. Die Zelle ist kaum geheizt. Meine Finger sind klamm beim Schreiben. Die anderen liegen, lesen, hören auf die Musik. Ich sitze allein beim Tisch. Es sind hauptsächlich Ersttäter mit kurzen Haftstrafen.
    »Die Neichn«, sagt derselbe wieder in der Früh.
    »Du kannst dir deinen Dreck selber tragen, klar«, sage ich.
    Er will etwas sagen. Die Ohrfeige hängt wie eine reife Birne über ihm. Er schweigt. Ich arbeite. Mit leerem Hirn versuche ich die Idiotie dieser Beschäftigung nicht wirksam werden zu lassen. Das Geknatter und Geschepper der Maschinen stanzt sich in meine Nerven. Zu Mittag habe ich genug.
    »Ich möchte eine sitzende Beschäftigung«, sage ich zu dem Aufsichtsführenden. Er hat eine Fahne, daß mir schlecht wird.
    »Sowos hab i net«, sagt er langsam. Der dümmlich grinsende Werkmeister tänzelt.
    »Na ja, wenn Sie nicht wollen«, sagt er süßlich.
    »Ich will schon, mein Bester, dir eine in deine Dreckschnauze klopfen. Mit Häftlingen, die hier um S 1,30 wie die Irren arbeiten, verdienst du dir saftige Prämien, mich kannst du, klar, achtmal, ersparst du dir ein Nachtmahl.«
    Dann folgt ein Wochenende. Kein Besuch.
    Ich sollte lesen, etwas tun. Nur im Raum umherschauen, führt nicht aus dem Kreis, dem Kerker im Gefängnis. Die Spirale bleibt, ohne zu eskalieren. Gesprächsfetzen

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