Der Minus-Mann
sagt er. Auf mein Nicken geht er zu seiner Schachtel und holt eine. Er zerteilt sie mit dem Messer, das ich ihm gebe, und preßt den Saft in meinen Becher.
Der Abend ist ein freudloser Krater. Haß und Ungeduld, Gleichmut und Hoffnung, Angst und Aggression filtern sich zu Streit und Gejohle, trübes Schauen und ein aufkommendes Reden. Stimmungsbrei in einer Gefängniszelle. Ich liege auf dem Bett, das Gelblicht flackert. Meine Gedanken schwimmen ruhig im Strom, reglos liege ich und rauche. Der Junge bringt mir einen Aschenbecher zum Bett. Es ist sieben Uhr. Einer klopft irgendwo gegen die Mauer.
»Wos is«, schreit Wolfgang aus dem Fenster.
»Kemma eahna die Zeidung schickn«, sagt er dann zu mir.
»Ja«, sage ich.
Er hält den Arm beim Fenster hinaus. Dann bindet er die Zeitung an die Schnur, die man ihm von der Nebenzelle zugeworfen hat.
Ich schaue zu dem Jungen. Er sitzt beim Tisch, liest, dann schaut er auf mich. Wenn ich ihn nehme, dann gibt es keine Probleme, wenn nicht, werden sie in einigen Tagen ein Spiel machen wollen. Ein böses Spiel, und er, der Junge, wird mitspielen, und er wird nicht wissen, daß er der Einsatz ist. Beppo kann ich auf Distanz halten. Die übrigen zählen nicht, wenn sie keinen haben, der sie anführt. Und Anton, ich weiß es nicht, er ist voller Muskeln und lebt auch schon jahrelang im Milieu, er kennt die kleinen Dreckeinlagen so gut wie ich. Morgen kommst du und verlangst mich sensibilisiert und offen, ohne Brutalität und Gemeinheit. Deine Augen werden über mein Gesicht tasten, aufmerksam und wissend. ›Deine Augen sind böse und abweisend‹, wirst du sagen, ich werde lügen. Diese fünfzehn Minuten Zärtlichkeit stehlen, mitnehmen in den Dreck und zu dem Fetzen Himmel unter die Zunge legen. Das Später, Haut, Lippen, jede Berührung, bleibt verschüttet, verbannt.
»Zehn Tage Hausarrest«, sagt der Hauptmann zu mir. Er hat mich für die Bedrohung eines Mitgefangenen bestraft. Das Zwischenspiel bei der Bene.
»Sie können dagegen Beschwerde einlegen«, sagt er und schaut beim Fenster hinaus.
Ich stehe im Direktionszimmer, es ist gut geheizt. Er ist klein, haargesichtig, mit leicht fliehendem Kinn.
»Ich verzichte darauf«, sage ich. Es wäre zwecklos. Das Urteil ist Humbug, aber es ist nicht anzufechten. Der breitarschige Major von Stein wischt durch meine Erinnerung. Angeekelt gehe ich aus dem Zimmer.
Die grünen Maschen. Du weißt, daß ich anschließend in den Keller gehe, sag nichts, es ist nicht schlimm. Ich liebe dich. Warum fragst du, weil ich nicht am Fließband arbeiten wollte, im Lärm, in der Sinnlosigkeit abstumpfen. Weil ich schreiben muß. Einiges aufschreiben muß, Liebste, ich habe den Fetzen Himmel bei mir …
»Ich liebe dich«, sagt sie.
Ruhig gehe ich durch den Hof, über Gänge, neben dem Beamten zu meiner Zelle.
Der Junge hat meine Toilettsachen gepackt. Seine Augen sind blanke Spiegel.
»In zehn Tagen«, sage ich.
»Ausziehen«, sagt der Stockbeamte. Der Kleiderbinkel wird zur Seite getragen, dann bringt der Hausarbeiter alte, verschlissene Klamotten.
Es ist dasselbe, immer, nach Jahren, ich steige in die Kleider. Zwei Beamte führen mich hinüberin den E-Trakt. Parterre E. Der rothaarige Ladestock mustert mich grinsend. Er geht mit mir und den beiden Beamten die Zellenreihe entlang. Bei der Nummer 49 hält er an.
Eine dick mit Schaumgummi gepolsterte Türe, dahinter eine dicke, mit Stahlblech verkleidete Türe, dahinter eine Gittertüre, in einer Gitterwand. Er filzt mich sorgfältig, dann werden die Türen geschlossen. Ich bin alleine. Rauher Betonfußboden. Das Klosett ist glatt aufbetoniert, ohne Spülung, alte Scheiße fault darin, stinkt bestialisch. Ein zerbeultes, dreckiges Zinklavoir, ein gelblicher Plastikkrug mit Wasser. Die Wände, ehemals weiß, vielleicht weiß gekalkt, mit Scheiße beschmiert. Sätze sind eingeritzt; ›ob sie dich lieben oder hassen, einmal müssen sie dich entlassen‹, ›Robert S. verbrachte hier die acht wichtigsten Tage seines Lebens‹.
Beschimpfungen, Zeitmarkierungen, jede Stunde ein Strich. Jeder Tag ein Kreuz. Vierzehn massive Stahlstäbe durchziehen den Raum vom Plafond zum Fußboden. Acht daumendicke Querleisten von Wand zu Wand. Eine matte Birne, eingemauert und vergittert, außerhalb des Käfigs, zeichnet Lichtsprossen gegen die Wände. Das Fenster hoch oben, klein, mit Stahlplatten und Gitterstäben und engmaschigem Gitter gesichert. Zwei Meter vierzig lang, einen Meter achtzig breit. Ich
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