Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
Vom Netzwerk:
stehe beim Gitter, dem Heizkörper zugewandt: Drei Heizungsrippen hängen außerhalb des Gitterraumes neben der Tür. Ich warte in die zweihundertvierzig Stunden hinein.
     
    Es ist der 13. Dezember. Um vier ein Blechgeschirr mit Kraut und dem Plastiklöffel, anschließend eine dünne Schaumgummimatratze und drei Decken. Die Kälte dringt vom eiskalten Stein durch. Ich liege gegen die Wand. Frierend, die Zeit krallt in mein Gehirn. Das Licht brennt die ganze Nacht. Um sieben Uhr früh holen sie die Matratze und die Decken. Den Kaffee schiebt man mir durch das Gitter. Jeden zweiten Tag ist eine Stunde Bewegung im Freien vorgeschrieben. Meine Kleidung besteht aus Hemd, Hose, Socken, Schuhen; Hose und Rock sind aus dünnem Tuch.
    In einem separierten Hof drehe ich die Runden. Zwei Beamte in Mänteln beobachten aus dem geheizten Glaskasten meine Kreise. Mein Ersuchen um einen Überrock wird überhört. Der Wind schneidet messerscharf durch die Kleidung. Nach einer Stunde bin ich steifgefroren. In der Zelle schlage ich die Hände gegen den Körper, langsam weicht die Erstarrung.
    Du kennst doch das alles, es berührt dich doch nur am Rande, an der Haut. Dein Hirn bleibt doch gelockert, klar und in positivem Denken. Du spürst keinen Haß, du stehst, wartest. Es ist doch so, mein Junge, oder quillt da etwas in dir auf, wächst und flammt und strahlt, reißt dich aus dem gleichgültigen Dämmer. Aggression glüht auf, du willst dem da draußen am Gitter an die Gurgel, töten, morden. Für Sekunden fetzt es durch das Denken. Augenblicke ohne Atemzug. Du alterst, wartest, mit gekrampften Händen, irren Augen, fliegendem Puls. Dann schlaffst du weg, schleppst dich durch Watte und Nebel, Kälte und kahle Wandflächen, eisige Gitterstäbe entlang, zurück in deine Höhle.
    Ich liege eine halbe Handbreit über dem Beton, die Kälte höhlt aus. ›Rilke‹, schreibe ich mit den Fingernägeln in die Mauer, ›ihm ist, als ob es nur noch Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt‹, ›Der Panther‹, schwarzgrün schimmerndes Fell, ein Blitz aus glühendem Auge, im Raubtierzwinger, tausende Schritte, Sekunden fließen unter meine Sohlen. Essen, Hände reichen Blechschalen durch Metall. Matratzen, die eisigen Kreise unter den wachsamen Augen, Tage vergehen.
    Müde und dreckig stehe ich seit zwei Stunden vor demselben Schreibtisch im gutgeheizten Direktionszimmer. Man hat mich aus der Absonderung geholt. Der Himmel ist weißlich, dann schmutzig blaßblau, dünnfarbig, wie der Alterssaft eines müden Mannes. Der Blick durch die Gitter, meine Gedanken scheuern an der harten Kante der Rechtecke.
    Vor dem Hauptmann liegt ein ›Neues Forum‹, eine Zeitschrift. Er blättert darin.
    »Haben Sie das geschrieben«, sagt er. Er zeigt auf einen Artikel. ›Aus der Schlangengrube‹, steht da, drei Episoden aus dem Zuchthaus.
    »Ja«, sage ich.
    »Stimmt das, was Sie da über den Ungarn, der mit der Peitsche verprügelt wurde, geschrieben haben«, sagt er. Die Bestrafung ist ihm unangenehm. Er wetzt unruhig auf dem bequemen Sessel.
    Ob es stimmt, will er wissen. Ein kleines Steinchen ist in ein zähflüssiges Meer geplumpst. Meine Erinnerungsscheiße fiel in die Betstühle ihrer Rechtschaffenheit, ihrer nie kritisierten Etabliertheit. Jauche rinnt stinkend aus den Kulissen auf die Bühne.
    »Ja, es stimmt«, sage ich.
    »Das war in einer österreichischen Strafanstalt, einiges in dem Artikel deutet darauf hin. Ich wurde aufgefordert, der Sache nachzugehen, ich muß ein Protokoll aufnehmen«, sagt er mit Pausen.
    Die Wärme macht mich schlaff und unaufmerksam.
    Eine Sekretärin erscheint. Der Hauptmann plaudert in leichtem Ton.
    »Sind Sie Idealist oder Fantast«, fragt er mich, »oder schreiben Sie nur, weil sich solche Geschichten gut verkaufen?«
    »Erinnern Sie sich an die diversen Gefängnisreports verschiedener Journalisten. Fassadenberichte, gutgewürzte Emotionssüppchen. Ich wollte es einmal mit der Wahrheit versuchen, vielleicht kommt es in die Hände der richtigen Leute«, sage ich. Er schüttelt mißbilligend den Kopf.
    Dann entsteht ein Protokoll. Weitere Auskünfte behalte ich mir bis nach meiner Entlassung vor.
    Ach ja, begnadigt werde ich auch, der Hauptmann rechnet mit den Fingern der rechten Hand. Fünf Tage sind sie schon unten, sechs … ja, der Rest ist ihnen erlassen, hmmm, man ist ja nicht so … usw.
    »Danke«, sage ich pflichtschuldig und schließe hinter mir die Tür. Der Gestank in meinem Käfig ist frische

Weitere Kostenlose Bücher