Der Minus-Mann
Luft gegen den Geruch in gutgeheizten Direktionszimmern.
Auf der Zelle holen sie mir heißes Wasser. Der Junge rührt Kaffee. Hohlwangig schaue ich mir nach dem Rasieren entgegen. Tief sauge ich den Rauch der ersten Zigarette in die Lungen. Den Schwindel spüle ich mit Kaffee fort.
»Haben Sie das Manuskript hinausschmuggeln lassen?«, fragt mich ein Beamter.
»Ja, mit einer Brieftaube«, sage ich. Er lacht, klopft mir auf die Schultern. Ich schaue ihn an. Das Lachen klappt weg.
»Es ist komisch, aber wie du weg warst, sind sie alle herumgesessen wie die Oktoberfliegen«, sagt der Junge.
Er drückt meine Handtücher gegen die Heizung. Ich wasche mir die Füße. Beppo lächelt angestrengt in meine Richtung. Anton sträubt den Bart. Wärme fließt durch den Körper. Träge lehne ich an der Heizung. Reden plätschern gegen mich. Gesammelte Nichtigkeiten. Das blaurote Kältestigma weicht aus meinen Händen. Gehirneis wird zu lauer Unaufmerksamkeit. Flockenwirbel hinter den Scheiben, den Stäben. Ich schaue in das Weiß. Es deckt Geräusche und meine Sehnsucht. Weihnachtskarten trudeln ein.
»Magst du ein Bonbon, ein Stück Schinken, eine Scheibe Wurst, Zigaretten und Bäckereien?« Sie sind friedlich und kauen und rülpsen und schenken sich gegenseitig. Anton möchte mit der Faust dreinschlagen.
»Der scheißsentimentale Dreck«, sagt er und legt sich mit einem Kriminalroman auf das Bett.
Sie schichten eine Torte aus Keksen, Milch, Kakao und Margarine, Illusionen und der Erinnerungen an eine angstlose Kindheit. Hinter dem Paravent, eingedicktes Spülungsgeplätscher, einer sitzt, die Weihnacht im Scheißhaus. Karl ist zynisch. Peter verschwindet bedrückt unter den Decken. Der Junge liest mir Briefe seiner Mutter und seiner Schwester vor. Später sitze ich allein beim Tisch und blase den Rauch in die Dunkelheit. Der Junge bringt mir zum Frühstück Kaffee und Kuchen zum Bett. Anton flucht über seine Frau. Er hat kein Paket bekommen. Karl sekkiert mich um Informationen. Wenn er entlassen wird, möchte er sich als Heiratsschwindler etablieren. Ich krame in Helmut-Erinnerungen, er lauscht fasziniert.
»Sechs Jahre geben sie dir bei deinen Vorstrafen, das ist dir bewußt«, sage ich. Er nickt strahlend.
Ich quäle mich an den Tagen vorüber.
»Berührt dich das alles nicht, du bist so ruhig«, sagt der Junge, und Peter nickt.
»Nein«, sage ich, »es berührt mich nicht.«
»Waßt, de Menscha, liab sans scho, oba do umanaundaschmusn und wach sei, auf des scheiß i«, sagt der mit der unreinen Haut. Er ist neunzehn.
»Ficken, was brauchst du dich da noch um sie kümmern«, sagt der Junge, auch er ist neunzehn. Ich höre nicht mehr zu. Bin zu alt, weich, ich will Zärtlichkeit. In dicken Wänden versickern stumme Schreie.
Auf Psi-Ebenen begegnest du mir. In einer unbestimmten Landschaft, auf weichem dunklen Gras. Es sind keine Geräusche in diesem Land und keine Menschen neben uns. Du berührst mit den Fingerspitzen mein Gesicht, ohne zu atmen, erwarte ich dich. Du legst deinen Körper an mich, unsere Gesichter sind bewegungslos im Schauen zueinander. Ich liebe dich, das Gras zwischen den Händen, Erde an den Lippen. Harte Gesichter am Tisch im direkten Licht. Falten und Kanten von morgen und später.
Worte, sinnlose Wortspermen aus stinkenden Maulorgasmen. Ich lebe fort, hinaus aus den Gesprächen, den Fragen, der abstrusen Gedankenscheiße.
»Wüst den Buam nimma«, sagt Beppo von weither. Ich sitze in der Ecke bei der Heizung, lese, warte vor mich her.
»Eine Flasche Rum zu Silvester, und ihr könnt ihn haben«, sage ich.
Er kneift die Augen zusammen, dann geht er zu Anton. Sie flüstern. Über den Hausarbeiter besorgen sie mir zwei Tage später den Rum. Der letzte Tag des Jahres. Peitschende Rhythmen aus dem Lautsprecher. Ich liege im Bett, trinke. Gleichgültige Nebel decken das Geschehen vor mir.
Anton packt die Trickkiste aus, sie spielen Stockschlagen. Einer sitzt auf der Bank in der Mitte der Zelle, ein zweiter hat den Kopf in seinen Händen, die anderen schlagen mit der Handfläche auf den gespannten Hintern des Gebeugten, wen er errät, der tauscht mit ihm Platz. Dann zeigt Beppo eine Übung. Alle johlen, sind ausgelassen. Er nimmt sich den Jungen zum Vorzeigen.
Der Junge sitzt am Boden, seine Beine in den Knien angezogen, die Hände um die Waden gelegt, dort mit einem Hosenriemen verschnürt. Über die Arme, unter den Kniekehlen durch, schiebt ihm Beppo eine Schrubberstange. Der Junge kann
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