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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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Schatten flüstert es in der nachtfinsteren Zelle einem anderen zu. Ich liege im Nebenbett, richte mich auf und drehe mir eine Zigarette. Beim Anzünden sehe ich zu den beiden.
    Sie wälzen sich umschlungen unter der Decke.
    Ein Jahr ist vergangen, seit ich hier bin.
    Die Schwulen im Nebenbett sind nun richtig aufgegeilt. Der eine ist Georg, ein kleiner, netter Bursche. Der andere ist ein großer, dunkelhaariger Kerl. Er heißt Karl und hat fünf Jahre, Karl hat Georg umgedreht. So heißt es, wenn einer der Älteren sich einen Jungen als Betthasen holt. Die Schwulenplage ist ein Alptraum. Die Zelle ist für sechs Mann. Fünf Meter breit, sieben lang. In der Mitte ein langer, rohgehobelter Tisch, zwei ebensolche Bänke. An den Breitseiten des Räumens je drei Betten. Die Längsseiten zwei große Fenster, eine Waschwanne aus Zinkblech und die massive Zellentüre. Daneben das Klosett mit Sperrholzwänden gegen den Raum zu abgedeckt.
    Die Nacht dehnt sich. Die beiden sind zu laut, ich kann nicht einschlafen. Ich sage nichts. Sie sollen sich ihr kleines, beschissenes Vergnügen machen. Neunzehn Jahre bin ich alt und müßte all diese Dinge doch längst kennen. Aber manchmal spült es mich fort, das Fragen und das große, tränenlose Heulen. Daliegen und in die Scheinwerfer hinausstarren, in den grell ausgeleuchteten Gefängnishof, die schwarzen Mauern. Der Beamte geht seine Runden, die Antenne des Funkgerätes blinkt im Licht und wippt bei seinen Schritten.
    Karl scheint soweit zu sein. Er stöhnt dumpf. Vor ein paar Tagen hat er mich angesprochen: »Heast den Schurl, sei klana festa Oarsch mocht mi wauhnsinnig, den muaß i fickn«, sagte er.
    Georg fügt sich Karls Wünschen vollkommen. Ich habe ihn gefragt, habe Zwang, Drohungen vermutet. Georg hat verlegen gelächelt und gesagt, es macht ihm nichts aus, wenn er Karls Schwanz in den Mund und in den Hintern gesteckt bekommt.
    Da ist aber noch etwas in der Zelle. Schräg mir gegenüber liegt Gianni, ein Südtiroler. Er hat drei Jahre abzubüßen. Vor einigen Tagen ist er in diese Zelle verlegt worden. Alle haben ihn beobachtet, wie das eben bei einem, der neu kommt, üblich ist. Dann erst ist er angesprochen worden. Er ist sechzehn, hat ein weiches Gesicht, keinen Bartflaum und dichtes, gelocktes Haar. Seine Bewegungen sind langsam, fast aufreizend, feminin. Wenn ich ihm eine Weile zusehe, klopft mir das Blut hinter den Augen. Und nicht nur mir, die anderen sehen ihn ebenso an. Im Dunkel liegen. Hier liegen, diese verrottete Atmosphäre zu atmen und warten und nichts tun können. Wie oft habe ich mir schon gesagt: »Nimm dir auch so ein Spielzeug ins Bett.« Da sind Buben, die sehen aus wie Engel, glatte Haut, runder Arsch … vielleicht würde dann die Aggressivität verschwinden und der Druck aus den Eiern. Scheiße – verfluchte, vermaledeite Scheiße, Geilheit und Dreck und Verzweiflung – ich habe keine Worte dafür – nicht einmal für mich.
    Ich drehe mich auf die andere Seite, habe lange genug in den Hof hinausgesehen. Will nicht mehr, nichts mehr … jetzt nichts mehr wissen von Schwulen und Aufsehern und Zucht und Erziehung, möchte nur schlafen – aus den Dingen raus sein. Müdigkeit ist da, überzieht mich wie mit einem schwarzen Tuch.
    Am Morgen das Klopfen des Beamten an der Türe, dann das Schreien: »Brauchts a Sondaeinlodung! Kreuts aussa aus dera Hapfn!« brüllt er. Ich krieche aus dem Bett, drehe eine Zigarette. Der erste Zug. Der Tag mit Gelblicht und grauen Gesichtern springt ins Bewußtsein. Beim Frühstück kaut jeder schweigend. Bitterer Kaffee und, wenn es gutgeht, ein Margarinebrot. Anschließend ist Hofgang. Eine Stunde stumpfsinniges Im-Kreis-Gehen nennen sie Bewegung im Freien. Ich nehme meine Jacke. Mit den anderen gehe ich an dem Beamten vorbei auf den Gang zum Antreten. In Zweierreihen geht es in den Spazierhof. Der ist so trist wie der ganze Gefängnisbau. Drei Seiten hohe Mauern gegen die Straße, die vierte Seite begrenzt der A-Trakt. Braungraue Erde, Spuren von dreckigem Grün in der Mitte. Keine Farbe, nur Braun und Grau. Enge Welt ohne Farbe.
    Das Hirn ist leer. Ich trotte mit den anderen im Kreis. Die Gesprächsthemen sind immer dieselben. Thema eins bis hundert: die Frauen und alles, was davon abgewandelt werden kann. Schilderungen gehabter und noch zu habender Erlebnisse. Jeder renommiert, die Einzelheiten werden genüßlich breitgetreten. Wie er achtmal gespritzt hat, weil sie so gut blasen konnte, oder wie ihnen eine

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