Der Minus-Mann
entstehen hier ›Hackenbrüderschaften‹. Man trifft einander nur immer wieder im Gefängnis.
Werkstätte, Zinkenstemmen. Manchmal kommt eine Führung in die Tischlerei. Frauen, Männer – stehen herum, mit fremden Augen und dummen Fragen – »Wie gefällt es Ihnen hier?« –, ich drehe mich weg, was soll ich sagen?
Trockengemüse und Kraut und Kohl. Speckiges Brot und schwarzes, lauwarmes Wasser am Morgen. Dann habe ich vierundsechzig Kilo und bekomme vom Arzt täglich eine Portion Erdäpfelsalat zur Gewichtsaufbesserung, und dann wiege ich wieder siebenundsechzig Kilo und bin einsneunzig groß.
Ein paar Tage später beginnen Robert und Walter, zwei von meiner Zelle, mit Gianni spielerisch herumzuraufen. Sie wollen testen, wieweit der Junge zu verwenden ist. Gianni sträubt sich, aber das nützt ihm nichts. Robert hält ihn im Schwitzkasten. Walter greift ihm am Hintern herum. Gianni wehrt sich. Er windet sich aus dem Griff und schlägt Walter ins Gesicht.
Der fängt den Schlag auf und dreht ihm die Hand auf den Rücken. Der Junge schreit auf. Ich sehe zu, warte. Macht der Junge die Demutsgeste, wird er bitten, daß ihn Walter losläßt?
Wenn er es tut, kommt das Siegerlächeln, das wissende Grinsen. Nach dem Motto: durch brutale Kraft zur Freude. Der Junge liegt still. Walter beugt sich über ihn: »Nun, wie steht’s, hast du genug, oder willst du dich weiter wehren?« sagt er.
Ich stehe vom Bett auf.
»Laßt ihn in Ruhe. Sucht euch jemand anderen zum Blödeln. Wenn ihr ficken wollt, dann steckt ihn euch gegenseitig hinein, ihr habt beide schöne, breite Ärsche«, sage ich.
Walter läßt von Gianni ab und dreht sich zu mir. Robert steht neben ihm.
»Warum mischst du dich da drein? Das geht dich einen Scheißdreck« … sagt Walter. Ich packe ihn am Hemd und ziehe das Knie hoch. Er schreit. Eine Ohrfeige wirft ihn hintenüber. Robert geht schnell zu seinem Bett.
Gianni macht Hundeaugen. Ist er doch schwul?
Ich gehe zu meinem Bett zurück und zünde mir eine Zigarette an, dann nehme ich ein Buch zur Hand, um zu lesen.
In der Zelle ist es still. So ist es immer. Jede Aggression reichert sich an, gipfelt und flacht dann ab; so wie eben. Im Knast ist es besonders deutlich. Jeder versucht, das Unangenehme der Situation zuerst ganz auf sich selbst reduziert zu bewältigen.
Dann sitzt Gianni auf meinem Bett.
»Spielst du mit, Karten«, sagt er weich, zu weich.
»Nein«, sage ich.
»Aber es stört dich nicht, wenn ich mit den anderen spiele«, sagt er.
»Nein«, sage ich.
Karl, Georg und Gianni spielen.
Zeit vergeht, es ist September. Manchmal liegt dichter Nebel im Gefängnishof. In der Werkstätte lerne ich furnieren, fräsen, nuten. Ich fertige Schemel, wochenlang, bis ich die kleinen Sitzmöbel nicht mehr sehen kann. Der Alte gibt mir keine andere Arbeit. Man ist mit meiner Führung sehr zufrieden. Die Zukunft ist milchiges Glas, die Gegenwart Arbeit, Tischtennis, hin und wieder Fernsehen, lesen und reden. Auf Grund der Tischlerlehre, welche drei Jahre dauert, werde ich sicher nicht bedingt entlassen. Vor der Gesellenprüfung lassen sie keinen raus. Manchmal rechne ich die Tage, die Wochen. November 1964. Ich bin unruhig, nervös und gereizt … Jede Kleinigkeit führt zu Raufereien. In der Direktion werde ich verwarnt, dann bestraft. Fünf Tage Absonderung im Keller. Danach werden die Drohungen – ›du kommst wieder in den Erwachsenenstrafvollzug‹ – häufiger.
Alles, was gesprochen ist, weiß am nächsten Tag der Sekretär. Jeden Tag ist mein Bett auseinandergerissen. Man sucht etwas, oder ist es nur Schikane? Ich hole mir Gianni, lasse mir von ihm einen ablutschen.
»Du willst?« fragt er erschrocken.
»Halts Maul und komm«, sage ich. Der Druck aus den Eiern verschwindet, der hinter der Stirne wird stärker. Die Gefangenen gehen mir aus dem Weg. Wegen eines Nichts schlage ich Robert zwei Tage später nieder. Ein Beamter sieht den Vorfall. Ich werde wieder abgesondert. Im Keller erfahre ich, daß ich wieder zu den Erwachsenen komme. Eine Einzelzelle mit nassen Wänden, nahezu ohne Licht. Eine Pritsche, ein Eisenkübel, sonst nichts.
Ich will weg aus dieser Anstalt.
Nach dem Keller komme ich auf B 4 in eine Einzelzelle. Arbeit -Säckekleben. Jeden Morgen holt mich ein Beamter in einen großen Arbeitssaal im Nebengebäude. Etwa vierzig Gefangene arbeiten dort. Es sind hauptsächlich oftmals Vorbestrafte mit sehr langen Haftstrafen. Ich habe beobachtet, wie die einzelnen Gefangenen am
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