Der Minus-Mann
Sadistin am Höhepunkt mit eisernen Krallen das Arschloch aufgerissen hat. Ich höre nicht mehr zu, schon lange nicht mehr. Es ist der Alle-Tage-Quatsch.
Plötzlich kommt etwas in Gang.
»Ich fick sie alle nur mehr in den Arsch, da sind sie enger«, sagt einer laut. Ein blasser Sechzehnjähriger. Er geht zwei Reihen vor mir und begleitet sein Versprechen mit einer umfassenden Handbewegung.
»Wem wüllst du pudan? Du bist doch sölba a Mädl«, sagt sein Nachbar in der Reihe, ein Älterer, ca. zwanzig, der schon fünf Jahre in Haft ist. Alles lacht. Der Junge tut mir leid. Ich kenne seine Geschichte und weiß, was da kommt. Der Häckel wird beginnen, grausam und enervierend für den, der sich nicht wortgewandter und ordinärer als die anderen zur Wehr setzen kann. Dieser da kann es nicht.
Es beginnt harmlos. Es beginnt immer harmlos.
»Wos mant ear, dea klane Sexathlet? Wos hot ear gsogt?«
Einer stellt die Frage, es ist immer einer da, der die Frage stellt. Weich, fast singend im Slang, und trotzdem oder gerade der Weichheit der Sprache wegen von ungeheurer, mitschwingender Aggressivität.
»Oba goa nix hot a gsogt, dea Klane – na de Weiba wird ear in Scheißa pudan. Er is hoit a Schweindal unsa Klana a richtige Drecksau«, sagt der dahinter, oder davor. Er ist immer da, dahinter, oder davor, wenn es darum geht, sich auf Kosten eines scheinbar Unterlegenen lustig zu machen. Dann folgt der dritte, auch er wird stets auftauchen. Er hat eine wichtige Funktion in diesem vorgezeichneten Ritual.
»Geh dazöhl amoi, wia mochst’n des, host eahna scho uandlich die Gurkn in Kacker gsteckt … du bist oba a Uandlicher«, sagt er schleimig, vielleicht mit bewunderndem Kopf schütteln.
Das Opfer ahnt, wie es weitergeht, aber es ist schon zu spät, um davonzukommen. Der erste wendet sich jetzt an die Leute umher, welche eingeschüchtert, weil diesen Leuten von der Schnauze her nicht gewachsen, willig mittun.
»Hearts eich amoi den Eiaschedl an, der schwindliche Kimmla wüll austaubn (angeben). Du Sautrottel (hier wird immer die direkte Beschimpfung eingeflochten) du bist doch net amoi wert, dasd a Loch im Oarsch host. Wem wüllst’n imponieren; glaubst leicht, mia olle (Einbeziehung aller in die konstruierte Beleidigung) san so teppat wia du«, sagt er.
Der zweite wieder etwas beschwichtigend, aber doch unterschwellighetzend, »geh, loß eahm. Er tuat ma jo scho lad. Dea waß des hoit bessa wia mia, schau dafüa hot ear sie jo scho sei Hosn enga mochn lossn, wegn da Attraktivität, waßt, mit an bißl Oarschwoggln, na waßt eh wos i man«, sagt er und spielt auf homosexuelles Verhalten des Sekkierten an.
Der erste knüpft den Faden bereitwillig weiter.
»Des ist a Tuarar und an Lossa«, sagt er. Der dritte setzt fort – wie auf ein Stichwort.
»Ah, du manst ear tuat gern blosn und loßt sie in Oarsch pudan.«
Der zweite bremst wieder.
»Gehts wia benehmts’n ihr eich ana Dame genüba, tuat ma des,
schauts, es kumman eahm jo scho die Tränen unsan Supamann«, sagt er. Der erste wieder direkt gegen das Opfer: »Waunst scho die Weiba in Bobsch fickn mechst, wia mochst’n des mit dein Buamazupfal, mit den kaunst jo net amoi a Gölsn in die Kotritzn schuastan du Nudlaug, du hoibseidans.«
Ab dann werden alle Körperteile in die Beleidigungen einbezogen. Es geht weiter, wenn nicht in dieser Reihe, dann in der nächsten. Bei der Arbeit, beim Essen, wie hier beim Hofgang und abends auf der Zelle weiter. In jeder nur erdenklichen Variation, jedem nur möglichen Thema folgend. Es ist nicht zu zählen. Man sieht es nur an den verzweifelten Gesichtern der Unbeholfenen und Schwächeren. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Man kann diese Sekkaturen auch nicht ignorieren, da der Aggressor dadurch in Wut gerät, und meistens Prügel und öffentliche Demütigung die Folgen sind. Wenn man nicht durch Körperkraft oder Bekanntenkreis abgesichert ist, gibt es keine Möglichkeit, diesen Tyranneien zu entgehen. Die Aufseher sind machtlos.
Gehäkerlt wird immer, als Dokumentierung der Überlegenheit und Macht, als Überspielung eigener Ängste. Wenn einem die Scheiße bis zum Hals steht, versucht man sie doch noch dem anderen in den Mund zu leeren.
Ich habe die Hände in den Taschen vergraben und versuche zu ignorieren. Oft schaffe ich es, alles wegzudrängen, auszulöschen. Man ist nie und doch immer allein. Gefängnisfreundschaften haben fast immer ein sexuelles Motiv. Viel seltener als angenommen
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