Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
Vom Netzwerk:
die Klingel am Türpfosten, daneben ist ein Schild. N. N. Taxiunternehmen – ein Mann steckt den Kopf aus einem Fenster im ersten Stock. »Fahren Sie uns nach Judenburg«, rufe ich hinauf.
    »Ja, ich komme gleich«, sagt er.
    Er kommt aus der Türe. Ein mittelgroßer, älterer Mann. Der Wagen steht um die Ecke. Ein schwarzer Mercedes. Wir steigen hinten ein. Ich hinter dem Fahrer. Der Mann startet, fährt los. Ich lehne mich in die Polster zurück. Paul ist bleich, er sitzt starr und verkrampft. Ich habe keinen Gedanken. Der Wagen fährt aus der Stadt in die Dunkelheit.
    Nach einer Kurve beuge ich mich vor. Ich lege dem Fahrer meine Hände um den Hals und drücke zu. Er verreißt das Lenkrad. Paul kommt zu spät nach vorn. Der Wagen schleudert, rutscht quer zur Fahrbahn. Unter meinen Händen wird der Fahrer schlaff. Ich zerre ihn über die Lehne in den Fond, da blendet von rückwärts Licht. Ich sehe Autos anhalten, jemand ruft.
    »Verfluchte Scheiße, nichts wie weg hier!« sage ich zu Paul. Wir verlassen das Auto und laufen gegen die Dunkelheit. Wir hechten über eine Bodenwelle. Ich kann über die Schulter abrollen. Dann stehen wir vor einer Sträucherwand.
    Paul zögert.
    »Los, spring«, sage ich.
    »Was ist dahinter«, stößt er hervor.
    »Weiß ich nicht, los, spring. Da, die kommen nach«, sage ich. Beim Sprung verliere ich meinen rechten Schuh. Ich falle in weiches Erdreich. Der Schuh bleibt in der undurchdringlichen Finsternis unauffindbar.
    »Los, weiter«, sage ich. Plötzlich ist eine schwarze Wand vor uns – der Wald. »Halt dich an mir fest, sonst schlägst du dir noch den Schädel an einem Baum auseinander«, sage ich. Er hält sich hinten an meinem Gürtel fest. Ich versuche, eine gerade Richtung einzuhalten. Der Schweiß brennt in den Augen. Unter einem dichten Baum halte ich an.
    »Hau dich hin. Vielleicht haben wir Glück, und sie finden uns mit den Hunden nicht. Weitergehen ist sinnlos. Ich weiß nur sehr ungenau, wo wir sind. Wir müssen warten, bis es hell wird«, sage ich.
    Er lehnt am Baum. »Hast du eine Zigarette?« fragt er.
    »Habe ich, aber halt die Hand vor die Glut«, sage ich.
    »Sag, sind wir verrückt?« fragt er keuchend, »was wollten wir in Wien … wie ist das passiert, wie, sag es?!«
    »Ich weiß es nicht … aber das ist jetzt auch egal … die Scheiße ist passiert, versuch zu schlafen. Ich seh’ uns morgen schon in den Bergen klettern«, sage ich.
    Er schweigt und dreht sich zur Seite. Ich horche in die Nacht. Da und dort knackt ein Zweig. Es beginnt zu regnen. Ich lege mich auf das Moos, hoffe, daß die Äste und Zweige die Nässe abhalten, dann schlafe ich ein.
    Die Sonne zeichnet schon scharfe Schatten. Ich stoße Paul in die Seite. Mit einem kurzen Schrei fährt er hoch. Knapp vor uns ist die Bahnlinie, einige hundert Meter weiter steht ein Gendarm. Feldstecher, Maschinenpistole und Hund.
    Wir kriechen zurück, zwischen die Bäume. Dann gehen wir stromauf, entlang des grünen, durchsichtigen Wassers. Nach einer weiteren Biegung schwimmen wir durch den eiskalten Fluß und steigen einen Berg hoch. Den ganzen Tag gehen wir, bergauf, bergab. Menschen weichen wir aus. Um meinen rechten Fuß habe ich ein Taschentuch gebunden. Es ist ein glühendheißer Tag.
    »Wenn es dunkel ist, versuchen wir zum Bahnhof zu kommen. Aus diesen Bergen kommen wir nie heraus«, sage ich. Paul nickt nur. Er trottet erschöpft hinter mir her.
    Lange nach Sonnenuntergang sind wir auf der Straße zwischen Weißkirchen und Zeltweg. Dann kann oder will Paul nicht mehr. In einem Kleefeld bleibt er liegen.
    »Ich stell mich der Polizei«, sagt er leise.
    »Gut, sag ihnen meinetwegen, ich bin schuld – ich hätte dich überredet. Aber warte ein paar Tage, bevor du zu reden beginnst – ich möchte noch verschwinden können«, sage ich. »Viel Glück«, sagt er. Ich gebe keine Antwort. Durch Zeltweg, immer Nebenstraßen und dunkle Wege, schleiche ich zum Bahnhof. Auf den Ladezetteln an den Waggons suche ich einen Güterzug, der Richtung Wien fährt. Vorsichtig öffne ich einen Waggon, steige hinauf und ziehe die schwere Rolltüre geräuschlos hinter mir zu. Zwei Stunden später fährt der Zug an. Gegen Mittag des nächsten Tages lasse ich mich vor Wiener Neustadt aus dem Zug fallen, auf dem steinigen Boden schlage ich hart auf. Über die Felder gehe ich die zehn Kilometer nach Sauerbrunn. Dann liege ich im Wald beim Ortseingang und warte auf den Einbruch der Nacht. Ein Zufall führt Jutta, die ihren

Weitere Kostenlose Bücher