Der Minus-Mann
Entlassung und das Strafende. Bei Lebenslänglichen steht dort: der Tod.
Meine Arbeit ist einfach. Essen ausgeben und die Etage sauberhalten. Einmal wöchentlich ist Wäschetausch, alle vierzehn Tage Büchertausch. Zum Schalenabwaschen kann man sich Helfer aus den Zellen nehmen.
Der Job hat immense Vorteile. Jeder Gefangene braucht etwas vom ›Fazi‹. Er bekommt Tabak, Zigaretten oder Geld und er erledigt Kassiber und mündliche Nachrichten. Er organisiert vom Radio bis zum Schnaps, von Gewürzen bis zu pornografischer Lektüre. Zeitungen, Kaffee, Illustrierte, Transistoren für Detektoren, Messer, Fleisch, Rasierwasser, Romanhefte, Geld, Ferngläser, Bier, einfach alles Gewünschte, wenn er wief ist und sich gute Kontakte schafft.
Die Preise sind hoch. Die Beamten, die diese Dinge ›schleppen‹, verlangen viel, da sie ständig die Entlassung riskieren.
Es zirkuliert sehr viel Geld innerhalb der Mauern. Ein Lebenslänglicher hat 48.000,- Schilling versteckt, ein anderer 30.000,-. Es sind zwar Ausnahmen, doch Geld ist genug da. Es kommt über verschiedene Kanäle ins Haus. In den Paketen, beim Besuch usw.
Die Währungseinheit in Stein ist ein Paket Landtabak, ›a Bündl Heu‹. Je nach Angebot und Nachfrage zahlt man zehn bis zwanzig Bündl für einen Hunderter, ›Kilo‹ genannt.
Einige Tage schaue ich zu, dann starte ich. Ein Ehering kostet mich neun Bündl. Ich verkaufe ihn um achtzehn. Ein guter Anfang.
Der Stockchef von Ost 2 ist ein dicker, gutmütiger, etwas älterer Beamter. Er brüllt gerne, ist aber harmlos wie ein Säugling. Die Gefangenen nennen ihn Ferdl.
»Kehrns des Dienstzimmer zam«, schreit er mich an. Ich sitze mit einem anderen Gefangenen in der Abwaschzelle und spiele Karten, als er hereinplatzt.
»Waun i Zeit hob, jetzt spü i«, sage ich, ohne die Karten wegzulegen.
Kartenspielen ist verboten.
»Heast, kea sofurt des Dienstzimma zam, du Pücha«, brüllt er und läuft rot an. Ich lege die Karten weg, stehe auf und nehme ihn beim Arm.
» Ferdl, sei vernünftig, loß mi jetzt in Ruah koartndibln, weu sunst kaunst da dei geschissanes Dienstzimma söba mochn«, sage ich.
Ferdl stemmt die kurzen Arme gegen die Hüften, schüttelt den Kopf, und vor sich hinmurmelnd geht er.
Nachmittags erzählt er mir von seinem Gemüsegarten. Wir räumen das Zimmer gemeinsam auf. Ich kehre, er gießt die Blumen.
»Stundenlaung zupf i Unkraut aus, des nutzt nix. Und der kemische Dreck, den mei Oide kauft hot, der nutzt a nix«, klagt er.
»Heans nur«, wenn er mich ärgert, duze ich ihn, »do was i a unföhbores Mittl«, sage ich. Er steigt interessiert vom Sessel und schaut mich gespannt an.
»Zubetonieren den gaunzen Goarten«, sage ich und springe durch die Türe. »Du bist ein Trottel«, brüllt er auf. Die Gießkanne fliegt an mir vorbei, »mit dia kauma ka ernst’s Wuart redn, du Off«, schreit er. Ich gehe eine Etage tiefer, lese beim Hausarbeiter eine Zeitung, bis Ferdl sich beruhigt hat.
Wenn vom Justizwachkommando ein Zellenfilz veranstaltet wird, geht der Ferdl vorher mit seiner Aktentasche rum und sammelt die verbotenen Gegenstände ein. Er legt sie in den Kasten im Dienstzimmer und sperrt ab. Dann rührt er sich nicht vom Schreibtisch weg, bis der Filz vorbei ist. Jeden, der ihm in die Nähe kommt, brüllt er derart an, daß dieser sofort das Weite sucht. Dann bringt er den Gefangenen wieder ihre Radios und Spielkarten, Kocher und Schundhefte.
So ist der Ferdl, und er ist okay.
Ein paar gibt es noch, solche wie ihn, den ›Ederl‹ von Nord Ebenerdig, den ›Ruschi‹ von West I, den ›Rudi‹ von Nord I. Alte Beamte mit ›an guaten Schmäh‹.
Tausendeinhundert Gefangene sitzen in Stein. Zweihundert Beamte bewachen sie. Davon haben etwa achtzig nachtdienstfrei, sind krank, im Urlaub oder Zeitausgleich. Es sind viele junge Beamte darunter. Die meisten versuchen Autorität hervorzukehren, mit Drohungen; nicht durch vorhandene Persönlichkeit. Das Spitzwort für die Beamten: ›Kas‹ – vielleicht abgeleitet von Kaiserlicher Arrestschließer. In unserem an Titeln so überreichen Land gab es ja auch für diese Beschäftigung einen, und der blieb in Kurzform haften. Die Frauen nennen ihre Bewacherinnen ›Käsin‹. Das Zuchthausvokabular nennt deren Kinder dann ›Quargeln‹.
Es ist sehr kalt. Ich verzichte auf den Hof gang. An Mutter einen langen Brief geschrieben. Das Neue mitgeteilt.
Manchmal lausche ich Verborgenem nach. Das Gras in den Höfen ist schmutzig braun und
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