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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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feuchtfaulig, schwächlich und undeutlich der Himmel darüber. Die Nächte sind rauh und still. Nervöses Klopfen gegen Tischplatte und Bettkante ist Gewohnheit. Das Auf und Ab der Schritte in der Zelle über mir stört. Dringt in die Geborgenheit, in die mich dieser seltsame Abend einhüllt. Resignieren können, vielleicht auch der immer gegenwärtige Wunsch, nicht weiter zu müssen. Eine Frühlingsahnung, die Müdigkeit am Ende anstrengender Monate. Das Hineingleiten in Selbstaufgabe und Ratlosigkeit, nunmehr angstloses Warten, ohne ein Ziel zu begehren, ohne es zu erstreben. Selten wird die Klappe am Guckloch gehoben, das Alleinsein unter vielen bedenklich zerteilt. Der Abend ist dann faltig und zahnlos und verbittert. Ein Stern blinkt im obersten linken Gitterviereck. Das kalte Licht schafft keine Resonanz. Alles Lebendige bleibt außerhalb. Ich krieche in die Decken …
    Alle Vierteljahr werden die Hausarbeiter auf den verschiedenen Etagen untereinander ausgewechselt. Ich komme auf West Ebenerdig.
    Die gesperrte oder Sicherheitsabteilung. Auf der linken Gegenseite sind acht Sicherheitszellen und zwei Vollbetonhafträume mit separat eingezogener Gitterwand vor dem Fenster und der Türe.
    In einem liegt Bergmann. Er hat lebenslänglich Kerker und einige Verschärfungen. Er hat kurz nach seiner Verurteilung versprochen,
    in Stein weiterzumorden, dann baute man ihm diesen Käfig. Er ist seit einigen Jahren in Einzelhaft und klebt Kuverts. Der zweite Superbunker wird nur fallweise belegt. Im Augenblick ist er leer.
    In den übrigen Sicherheitszellen – mit zusätzlicher Gittertüre – leben gefährliche Gefangene und solche, die eine Flucht von der Anstalt versucht oder ausgeführt haben. Nach den dafür obligaten vier Wochen Keller bleiben sie ein Jahr auf West E.
    Ein paar bekannte Namen lese ich auf den Türschildern.
    Weinwurm – er hat die elfjährige Dagmar Fuhrich in der Oper erstochen. Rogatsch – er hat eine junge Studentin umgebracht und zerstückelt.
    Essenausgabe. In schmalen Blechbechern schiebe ich das Essen zwischen den Gitterstäben durch. Die Leute sind immer von den anderen Abteilungen getrennt. Der einzige Kontakt zur Umwelt führt über den Fazi.
    Manche am Stock haben Freunde, welche ihnen hin und wieder Dinge schicken. Vorsichtig öffne ich mit einem Sperrhaken die Klappe in der Türe des Adressaten und versuche die Sachen – selbstgebaute Radios mit Kopfhörer, Zeitschriften, Pornohefte, Lebensmittel, Tabak und Zigaretten – in die Zelle zu geben. Ich muß sehr aufpassen, wenn ich erwischt werde, bin ich sofort im Keller und meinen Job los.
    Der zweite Superbunker ist seit heute belegt, er heißt Karlbauer, hinkt und scheint total durchgedreht. Er gibt auf Fragen keine Antwort. Ein Friseur erzählt mir, er hat vor Monaten einen Beamten attackiert. Nachher war er in einer Irrenanstalt. Ob die dort so ein Wrack aus ihm gemacht haben – wohl kaum.
    Er lehnt teilnahmslos am Gitter und redet wirres Zeug. Mutter besucht mich. Ihre Augen sind lebhaft und froh. Sie erzählt von zu Hause. Vater läßt mich grüßen. Das freut mich. Die Woche vergeht schnell.
    Als Hausarbeiter verdiene ich im Monat etwa sechsundfünfzig Schilling. Die Hälfte davon kann ich zum Einkauf verwenden. Bei ausgezeichneter Arbeitsleistung genehmigen sie einem die Verwendung von eigenem Geld für den Einkauf. In einem Monat mache ich ein Gesuch, vielleicht klappt es.
    Schmidt, der Lebenslange auf Zelle zehn, hat mir wieder einen Brief an seine Frau gegeben, den siebenten. Sie liegen alle im Dienstzimmer im Papierkorb. Seine Frau ist tot. Er hat sie umgebracht, deshalb hat er lebenslänglich.
    Der von Zelle sechs zeigt dem Beamten seinen Schwanz und deutet Onanierbewegungen an. Er wichst den ganzen Tag … wie ein Affe. Er hat traurige Augen. Orang-Utan-Augen.
    Der auf achtzehn hat mitten in die Zelle geschissen. Jetzt hockt er im Türkensitz davor und … meditiert. Die Beamten meinen, er sei übergeschnappt, aber der Arzt glaubt ihm nicht. Ansonsten nichts Neues. Der Stockchef hat eine Alkoholfahne … aber das ist nichts Neues. Auf der rechten Seite der Etage werden einige Zellen freigemacht. Auf die Türen werden Schilder geklebt – Spital 2. Die Einrichtung bleibt dieselbe, nur statt des Strohsacks gibt es Schaumgummimatratzen. Die Kranken dürfen tagsüber liegen und haben generell Rauchverbot. Manchmal versuche ich es mit dem Sperrhaken … Am ersten Juni komme ich in die zweite Strafklasse. Vorteile: alle vier

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