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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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Betriebschef, »hat beschlossen, mich in die Korrektion zu bringen«, sage ich, »und Sie werden ihn dabei unterstützen.« Also, was soll das Theater? Der Major wetzt auf seinem dicken Hintern.
    »Ich verbitte mir derartige Unterstellungen. Aber Ihr Benehmen zeigt deutlich, daß keine Verständigung möglich ist. Ich bin sicher, Sie haben die Arbeit verweigert. Ich bestrafe Sie mit zehn Tagen Einzelhaft, zwei Fasttagen und zwei harten Lagern. Binnen acht Tagen können Sie dagegen beim Anstaltsleiter Beschwerde einlegen«, sagt er. Ich drehe mich um und gehe. Beim Anstaltsleiter, ich bin seit einem und einem halben Jahr in der Anstalt, den Direktor habe ich noch nie gesehen. Ich werde mich nicht beschweren und den Gottöbersten nicht kennenlernen. Ich bin nicht neugierig, mir reichen die Subalternen. Ich fülle mir den Arsch wieder mit einer Tabak-, Papier- und Streichholzladung, dann packe ich meinen Binkel und marschiere in den Arrest.
    Arsch- und sonstige Beschau, die dreckigen Klamotten und ab in den Bunker. Arrest im Kerker. Versperrung in der Einengung. Absolute Reduktion von Freiheit, Bewegung und Atemluft. Einen Meter vor der Türe durchläuft eine massive Gitterwand die Zelle. Einrichtung, ein Abtritt und ein mit Metallbändern gesicherter Wasserhahn – aus.
    Der erste Tag. Zweiunddreißigtausend Schritte. Essen im Stehen. Um vier Uhr Pritsche, Strohsack und Leintücher. Das Fenster in zwei Meter Höhe, klein, zwei Gitter, verdunkelte Scheiben. Abends eine Birne, vergittert, außerhalb des Käfigs, wirft hundert winzige bis breitgezogene Karos, die Gitterschatten, gegen die Wand. Automatisches Bewegen der Beine, der Füße über den glatten, kalten Boden. Nachts, eingerollt gegen die Wand, kralle ich die Hände ineinander. Die Beine sind gefühllos, ein dumpfer Block lastet im Gehirn. Vorsichtig drehe ich unter der Decke eine Zigarette, rauche. Das Auge am Guckloch, böse, wachsam, dann schlafe ich ein.
    Der zweite Tag, Fasttag. Vierhundert Gramm Brot. Wasser. Schritte. Ich gehe, ohne zu zählen. Die Stunden zögern im endlosen Drall. Dann stehe ich am Gitter, die Hände um die kalten Stangen. Warte, warte. Bilder fallen ein, alte, vertraute. Ich gleite in Geschichten. Sinnlos erhoffe ich, daß etwas geschieht, dann wieder dumpfes, introvertiertes Warten. Irgendwann die Pritsche, die Decken – hartes Lager. Ich falte zwei Decken dreifach, die dritte ist zum Zudecken. Verstohlenes Rauchen. Weiter abwärts geht es nicht mehr. Das ist die niedrigste Lebensform, zu der sie einen Menschen zwingen können. Sie sperren dich in einen Käfig und spekulieren mit der Angst. Bei vielen liegen sie richtig, die grünen Hunde und ihre Auftraggeber. Ihr, da draußen, vorm Fernseher, im Kino, im Theater, der Oper, der Fabrik, im Parlament und in der Straßenbahn. Im Park, in den Restaurants und auf den Universitäten. Strafen, bestrafen. Was habt ihr außerdem zu bieten? Nichts, dann hört mal zu.
    Sie liegen in den Zellen, nebeneinander auf den Strohsäcken und Pritschen, übereinander in den Stockbetten. Sie kennen alles vom anderen, jede noch so unwichtige Episode haben sie hundertmal gehört. Sie kennen sein Auto, seine Wohnung, seine Ausflüge und Reisen, seine Bekannten und seine Frau. Sie wissen, wie er sich kleidet, was er ißt und trinkt und wovon er träumt. Sie kennen seine Krankheiten, seine Ängste und sein Bankkonto. Sie wissen alles über seine Zähne, seinen Glauben und seine Verdauung. Jede Nummer, die er irgendwann, irgendwo geschoben hat, und jeden Furz, den er gelassen hat. Von der Geburt bis zum Gestern. Es gibt kein Ausweichen und zwischendurch der natürliche Drang. Sie leben im Wohnklosett, in der Scheißhausexistenz, bis sie einander nicht mehr riechen, nicht mehr sehen, nicht mehr hören können. Sie kippen aus den Pantinen, malen zarte Rosen auf die Briefe, die sie an ihre Frauen, Mütter, Kinder schicken. Sie rauchen den miesesten Tabak und arbeiten sich um einen Schilling in der Stunde den Rücken krumm. Sie hocken in Zellen, die dem Tierschutzgesetz hohnsprechen, lassen sich täglich viermal filzen, anbrüllen und demütigen. Sie gehen vor die Hunde. Einer nach dem anderen. Infantilität kommt zum Vorschein, als Mittel zum Zweck, dahinter, alles lähmend, lauert die Angst. Alle Ängste sind da. Die üblichen und die großen, die nicht zu nennenden. Die, mit sich allein zu sein, allein. An ihr scheitern sie, zerbrechen sie. Sie kommt unmerklich. Ins Alltägliche. Schleicht langsam in die

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