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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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das Urteil an?« sagt der Richter.
    »Nein, ich mache Berufung«, sage ich. Ich kann gehen.
    Zwei Tage später fahre ich mit Cha-cha nach München. Von zu Hause habe ich mich für lange verabschiedet. Niemand weiß, daß ich mit dem Mädchen wegfahre.
    »Du kannst mir postlagernd München-Hauptpost schreiben«, sage ich, dann gehe ich von Frau, Pudel und Schwiegereltern.
    Warum München? Es ist ein Name, ob mehr daraus wird? Es ist egal, wo wir hingehen, mir egal.
    Monotones Schnurren der Scheibenwischer. Die Regenfäden reflektieren das Licht der Scheinwerfer. Das Mädchen schläft neben mir. »Ich bin glücklich. Du bist bei mir«, hat sie gesagt. Der Motor läuft gleichmäßig. Ich zwinge mich, dem eintönigen Betonband Aufmerksamkeit zu schenken. Die Armaturen leuchten matt, der Zeiger der Tachometernadel steht konstant auf hundert Kilometer. Es regnet in Strömen. Das Mädchen erwacht, nimmt meine Hand vom Lenkrad, preßt ihr Gesicht dagegen. Ich stupse sie mit dem Finger gegen die Nase.
    »Schlaf, du versäumst nichts«, sage ich. Sie seufzt tief und schließt die Augen. Endlos prasselt der Regen gegen die Scheiben. Die Landschaft liegt in schwarzem Nebel versteckt. Bäume lauern zerzaust und geisterhaft im Hintergrund. Bei einem Rasthaus füllt mir ein verschlafener Mann im roten Overall den Tank. An der Grenze ist der Schlagbaum geöffnet. Ein Arm winkt aus dem Fenster – weiterfahren.
    Das Wasser bedeckt in niederem Spiegel die Fahrbahn. Kein Fahrzeug ist zu sehen. Ich lege über das Mädchen ein warmes Plaid, fahre langsamer. Es ist vier Uhr morgens. In einem leeren, grellen Rasthaus trinken wir Kaffee. Die fremde Mundart klingt unfreundlich. Später fahren wir durch dichten Nebel.
    Dachau – 3 km; ein Schild spiegelt matt im Dämmer. In einem Hotel quartieren wir uns ein. Der Mensch an der Rezeption ist glatzköpfig und zuvorkommend. Ein Stubenmädchen mit blanken Augen über großen Brüsten zeigt uns ein Zimmer. Müde falle ich ins Bett. Cha-cha macht ›Sightseeing‹.
     
    »Eine große Konditorei und ein Konzentrationslager gibt es hier, in der Konditorei war ich schon, zum KZ gehen wir gemeinsam«, sagt sie und packt Tortenstücke aus einer Schachtel.
    »Liebst du mich, sag sofort ja. Zum Lager fahren wir mit dem Auto, ich brauche ein anderes Make-up und einen dunkleren Lippenstift«, sagt sie. Wie ein hübscher, bunter Vogel flattert sie im Raum zwischen den Worten, räumt Hemden in den Kasten und Kleider, stellt ein Dutzend Dinge ins Bad, läßt Wasser in die Wanne laufen. »Komm schon, du Faulpelz, das Bad ist fertig«, sagt sie und zieht mir die Decke weg.
    Eine zaghafte Sonne hängt hinter Dunstschleiern. Blätter sind gelblich, zartbraun besäumt. Das Mädchen sitzt im kurzen Unterkleid vor dem Spiegel, bürstet ihr Haar. Ich springe aus dem Bett, steh hinter ihr. Über ihre Schultern steift sich mein Glied. Sie lächelt gegen den Spiegel, wendet den Kopf, legt die Lippen um die Eichel. Ihre Haare knistern. Zwei Flechten binde ich mir um die Hoden, sie gleitet auf die Knie, den Schwanz im Mund. Dann liege ich in der Wanne, pfeife ›Deutschland, Deutschland, nimmt sich alles‹, lasse mir die Nägel maniküren und dazwischen mit Tortenspalten füttern.
    »Mein Alter war sicher nie hier«, sage ich.
    Wir steigen aus dem Auto.
    Am Parkplatz kaum Autos, die mit amerikanischen Kennzeichen. Stacheldraht, Wachtürme, dann die Räume des Holzhauses. Riesige Fotos ausgemergelter Gestalten, unzählige Broschüren, jede eine Dokumentation des Grauens.
    Das Mädchen nimmt meine Hand, hält sie fest den ganzen Weg. Es gibt nichts zu sagen.
    Ein Satz bleibt mir in der Kehle stecken. Wir gehen die Lagerstraße zwischen den Betonvierecken entlang. Laut knirscht der Schotter unter den Schritten. Kirchen … wozu drei Gotteshäuser? Katholisch, protestantisch, jüdisch. Bis zum Ende der Lagerstraße einigt das Leid, das Entsetzliche, dann … ›mein Gott ließ dort drüben bauen – wir treffen uns im Krematorium‹, oder ähnlich. Gott ist dort mit am Rost verkohlt.
    Über der Ausdünstung einer grauenhaften Mitvergangenheit sprießt diskrete Geschäftigkeit. Gespenstisches im Sonderangebot, drei Karten mit Massakrierten eine Mark, sieben Karten zwei Mark. Ich greife ernüchtert nicht zum Billigen. Die blasse Sonne, die eintönige Moorlandschaft, der Stacheldraht hinter mir – der Tag hat mich wieder. Ich löse die verkrampfte Hand des Mädchens aus der meinen.

München, Stadteinfahrt. Ich rolle zwischen

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