Der Mitternachtsdetektiv: Unter Wölfen (German Edition)
eine Dreadlock aus der Stirn. »Vom Mörder?«
»Unwahrscheinlich«, sagte ich. »Ein Erpresser will Geld. So viel und so lange wie möglich.«
»Es sei denn, er hat spitz gekriegt, dass der Erpresste ihn aus dem Weg schaffen wollte, und ist ihm zuvor gekommen«, konterte sie.
Ich nickte beeindruckt. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »He, vielleicht solltest du die Branche wec h seln.«
Sie grinste. »Nimm’ mir das nicht krumm, aber: Gö t tin, nein! Nicht um’s Verrecken.« Inzwischen war der Laden dunkel bis auf das Licht über der Kasse. Jenny wurde ernster. »Und jetzt begibst du dich in die Höhle des Löwen?«
»Des Wolfes.«
»Ha ha«, machte sie lahm.
»Ich hab’ leider keine große Wahl, Jenny.«
»Hast du wenigstens den Dolch noch?«
Ich klopfte auf die Innentasche meines Mantels. »G e nau hier.«
»Pass gut drauf auf«, sagte sie. »Und auf deine Haut.«
»Keine Sorge, dafür häng ich zu sehr dran«, sagte ich. »Hör mal, was ich fragen wollte: kannst du mir deinen Wagen leihen? Es fährt leider kein Bus bis zum Wald rauf.«
»Ehrlich, du solltest dir endlich mal ’n Fahrrad zul e gen.«
»Danke, aber ich würde gern noch was von meiner Privatschnüffler-Würde behalten.«
Sie wollte etwas Gegenteiliges entgegnen, seufzte dann aber schwer. »Ist ja schon gut. Hier.« Sie kramte die Schlüssel unter der Kasse hervor und warf sie mir zu. »Aber verstell’ nicht wieder den Rückspiegel, klar? Ach ja, und wenn ich Müll im Wagen finde, der nicht mein eigener ist ...!«
»Kein Müll, versprochen«, sagte ich und meinte es so. »Ach, bevor ich’s vergesse: Was weißt du über die T ö tungsgewohnheiten von Werwölfen?«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »So viel wie über das Liebesleben meiner Eltern. Aber ich kann was nachschlagen.«
»Tust du mir den Gefallen?«
»Aber nur, weil du’s bist.«
»Danke. Ohne dich wär’ ich echt aufgeschmissen.« Auch das meinte ich so.
Sie lächelte frech. »Ich weiß – und ich werd’ alles tun, dass du’s nicht vergisst.« (Ich bin todsicher, dass sie das ebenfalls so meinte.)
Ich befreite Jennys taubengrauen Polo II aus der G a rage und fuhr los. Während sich meine Innereien zu einem stahlharten Knoten schlangen, ließ ich die City hinter mir.
Der Vollmond stand über schneebedeckten Tanne n wipfeln, als ich den Wald am östlichen Stadtrand e r reichte. Beim Aussteigen knirschte Kies unter meinen Schuhen. Ich blickte in das Wirrwarr aus Bäumen und Schatten und versuchte, mein hyperaktives Herz zu beruhigen. Eine Taschenlampe in der linken Hand und den Silberdolch fest umklammert in der Rechten, wagte ich den ersten Schritt in die kalte Dunke l heit.
Der Scheck , beschwor ich mich. Denk an den Scheck!
Vor mir glitt der Lampenstrahl von links nach rechts wie ein Messer aus Licht. Bald ließ ich die zugeschne i ten Wanderwege hinter mir. Schnee und Zweige knirschten und knackten bei jedem Schritt. Mein Atem hing als blasse Wolke vor dem Mund. Ich versuchte es wieder mit Beethoven, aber alles, was kam, war das Thema von Der Weiße Hai .
Vielleicht hätte ich doch in meinem alten Job bleiben sollen. Musikalienhändler zu sein barg vielleicht keinen Ausbund an Spannung und intellektuellem Stimulus – aber die Gefahr, von Wolfsklauen in Streifen gerissen zu werden, war dafür erheblich geringer.
Mit angehaltenem Atem lauschte ich in den Wald. Überall schien es zu knacken und zu rascheln, aber es war nichts zu sehen. Nur Tiere , sagte ich mir. Hasen oder Füchse oder was weiß ich. Die haben wahrschei n lich mehr Angst vor dir als du vor –
Ich schrie, als direkt vor meinen Augen ein Schemen zwischen den Bäumen hindurch raste. Ich sah tie f schwarze Augen, gekrümmte Krallen und riss die A r me vor’s Gesicht. Dann hörte ich das Schlagen großer Flügel, den Ruf einer Eule.
Nervös über mich selbst lächelnd, sah ich dem flüc h tigen Flattermann hinterher. »Verdammter Drecksv o gel«, murmelte ich. »Mach das nicht noch –!«
Als das Knurren erklang, spannte sich mein ganzer Körper wie ein Draht zwischen zwei Schraubzwi n gen.
Ich hörte den Wolf hinter mir. Spürte ihn. Riesig und voller Wut.
Und er hatte Gesellschaft: Ihr Grollen und Knurren drang von allen Seiten an meine Ohren. Es waren mi n destens fünf, im Halbkreis um mich verteilt, ihre Si l houetten fast mit den allgegenwärtigen Schatten ve r schmolzen. Zornige Augen funkelten wie grüne, blaue und rote Edelsteine. Sie kamen näher. Langsam. Übe r
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