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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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Regierungsrat zu meiner Rechten die Dame nicht ersetzen.
    Welch eine üble Gewohnheit es ist, unter Tafeln mit bunter Reihe einen Damenfuß auf die Probe zu stellen, habe ich einmal bei einem Herrendiner konstatieren können, indem ein gesetzter Mann, der bereits die letzten Diners mitmachte, plötzlich aufschrie, weil ihm auf den Fuß getreten war. Man vergesse also keinen Augenblick, wenn man an der Füßesucht leidet, daß man an einem Herrendiner teilnimmt.
    Ist man ein Freund der böhmischen und anderer Bäder, so nehme man von dem getrüffelten Fasan recht reichlich. Im anderen Fall sei man stark und lasse ihn unberührt vorüber. Der getrüffelte Fasan ist ein Mörder, der viele Menschen auf dem Gewissen hat, was der Wirt außerhalb seines Hauses zu wissen scheint. Auch die Ärzte wissen es, verschweigen es aber aus guten Gründen. Jedenfalls ist es gesünder, Fasanen zu schießen, als sie zu essen.
    Gäste, die mit ihrer Blasiertheit prahlen, also geaichte Tafelprotzen, nehme man nicht ernst, aber man gehe vorsichtig mit ihnen um. Einer derselben sagte einst zu mir: »Sie essen Forellen? Forellen fängt man, aber man ißt sie nicht.« Er geht meines Wissens heute noch ohne Wärter in Gesellschaften!
    Ist der Gastgeber ein Jude, so würde man im Kreise der Herren den Antisemiten sehr ungern vermissen, er ist aber jedenfalls anwesend. Seine Verdienste um den herrschenden Rassenhaß werden nicht unterschätzt, aber den Titel Judenfresser verdankt er trotzdem nur dem Eifer, mit dem er gern bei Juden speist und zwar so, als wolle er sie um die Ecke essen. Wenn er dem Gastgeber zutrinkt, macht er den Eindruck, als sei ihm dieser lieber als Herr Ahlwardt , was aber nicht viel sagen will. Er hetzt keinen Augenblick, im Gegenteil glaubt man, während er tapfer ißt, anstatt »Nieder mit den Juden« von ihm zu hören: »Nieder mit den Trüffeln und Artischocken!« Erst, wenn er sich beim Fortgehen genötigt sieht, dem Diener ein Trinkgeld zu geben, bricht die alte Wunde wieder auf, und schon auf der Treppe fällt ihm ein, daß an der Fleischteuerung allein die Juden Schuld haben.
    Viel unangenehmer ist der Anwesende, der fortwährend den Wirt herabsetzt, weil ihm selbst die Mittel fehlen, solche Diners zu geben. Er unterbricht sein leises Gespräch mit seinem Nachbar dann und wann nur, um mit dem Wirt anzustoßen und ihm ein herzliches Prost! zuzurufen. Strahlenden Auges leert der Wirt sein Glas.
    Man versäume es nicht, wenn man kein Börsenmann ist, einen Vertreter der hohen Finanz laut zu fragen: »Wie kommt Wien?« Dies macht einen guten Eindruck. Lautet die Antwort: Fest, oder matt, oder anders, so schüttele man den Kopf, obschon es einem ganz gleichgültig ist, wie Wien, Paris oder London kommt.
    Unter den Gästen, einerlei welcher Konfession, findet man solche, welche einen italienischen, oder spanischen Orden, oder beide besitzen, deren Statuten den Inhaber verpflichten, Andersgläubige zu verfolgen und zu vernichten, wo er sie finden mag. Man sei deshalb keinen Augenblick ängstlich. Der Ordensinhaber hat meist diese Statuten nicht gelesen, und wenn er sie kennen sollte, so ist er froh, wenn man ihm nichts thut, indem er gewöhnlich selbst ein Andersgläubiger ist.
    Bei Herrendiners verstehe man vor allem etwas vom Wein. Es ist nicht nur dem Wirt angenehm, wenn seine teuren Tropfen nicht als Blaubeerenwein getrunken werden, sondern man gilt dann auch in den Augen des vielleicht in der Nähe sitzenden Pinikers als ein Barbar. Da man nun gewöhnlich nichts vom Wein versteht, so trinke man so, als trinke man mit Verständnis. Es ist dies nicht leicht, aber durch Übung kann man dieser Lüge das Aussehen der Wahrheit geben, so daß selbst der gebildetste Trinker nicht die rote Gurke rümpft. Hat man also ein Gläschen Wein vom Präsentierbrett des Dieners genommen, so trinke man nicht ohne weiteres, sondern strecke zuvörderst die Nase über den Rand des Glases, als wolle man die Blume prüfen. Dann mache man eine Bewegung mit dem Kopf nach oben und blicke dann den Wirt an, der, stolz auf seine kostbare Gabe, die Gläserparade abnimmt, als sage man: »Ein Prachtweinchen!« Hierauf nehme man einen kleinen Schluck, spitze den Mund und peinige den Schluck, indem man ihn zwingt, einen Seiltanz auf der Zunge auszuführen. Dann erst trinke man das Glas aus und sei derart entzückt von der Güte des Weines, daß man ausruft, man finde keine Worte und fortwährend welche findet. Auf diese an die angeborene

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