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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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beiwohnen, so wähle man eine solche, in welcher die hervorragendsten Abgeordneten und Bundesratsmitglieder das Wort ergreifen. Sonst hat man Unannehmlichkeiten, namentlich muß man auf den Vorwurf gefaßt sein, daß man sich wenig um den Verwandten bekümmere.
    Man führe den Logierbesuch, wenn man ihm das Nachtleben zeigen will, von den Linden durch die Friedrich- und die Leipzigerstraße nach dem Potsdamer Platz. Man gebe ihm aber Recht, wenn er behauptet, es sei nicht viel los, auch schien ihm die Straßenbeleuchtung mangelhaft. Stehen ihm die Feuermelder im Wege, so teile man ihm mit, daß sie, wenn er, so Gott will, im nächsten Winter wiederkomme, sämtlich auf der Chaussee nach Charlottenburg stehen würden.
    Man lasse in seiner Gegenwart niemals das Wort Heimreise fallen, denn alsbald wird man gefragt, ob der Besuch wohl schon zu lange dauere. War man aber so unvorsichtig, so schwöre man nicht, daß sich der Besucher irre. Ein Meineid ist schauderhaft.
    Man lasse dem Besucher nicht dessen Leibgerichte kochen, denn er würde sie doch nicht wiedererkennen und dann über Magenschmerzen klagen.
    Sagt der Logierbesuch selbst, daß es Zeit sei, wieder an die Heimreise zu denken, und daß er übermorgen abreisen wolle, so rufe man nicht aus: I wo! oder dergleichen. Er wäre kapabel.
    Nach der Siegesallee lasse man ihn allein gehen, denn man würde ihm jedes einzelne Standbild historisch erklären müssen und dies könnte man nicht. Er würde aber darin eine Unfreundlichkeit erblicken, wie sie nur ein Verwandter haben könne.
    Seine Abreise beklage man erst auf der Fahrt nach dem Bahnhof, dann aber in eifrigster Weise. Dann kann es keine üblen Folgen mehr haben.
Der Fremde,
    den man hat, ist ja auch nur eine Person, aber er hat alle Vorzüge, auf welche der Logierbesuch opferfreudig verzichtet, weil er sich nicht einbildet, daß er die Pflicht habe, sich angenehm zu machen.
    Wer verheiratet ist, habe dann und wann einen Fremden. Ein Fremder in der Hand ist angenehmer als zehn Logierbesuche unter dem Dach. Dies ist so richtig, daß man den Fremden erfinden muß, wenn er nicht existiert. Ein aus der Luft gegriffener Fremder ist sogar nützlicher als einer von Fleisch und Blut. Wer hiervon nicht überzeugt ist, erfinde einmal einen. Die Not macht ja erfinderisch. Hat man ihn erfunden, so hat man nur noch der Gattin zu sagen, man möchte ihn nicht einladen, weil er sehr anspruchsvoll sei, nach Rotwein rieche und den Salon für einen Aschenbecher halte. Dann kann man mit Freuden und mit Nutzen diese Erfindung auskosten.
    Hat man einen Fremden, so ist man für einige Tage der Häuslichkeit entrückt, wenn hierzu ein Verlangen vorliegt. Ein Fremder, er sei erfunden oder Wirklichkeit, ist der Storch, der die Freiheit bringt.
    Den wirklichen Fremden kündige man der Gattin unter den Ausdrücken des tiefsten Bedauerns darüber an, daß er durch seine, wenn auch kurze, Anwesenheit das Familienband lockern, die häusliche Ordnung umstoßen und namentlich die Abende erbarmungslos in Anspruch nehmen wird.
    Der Fremde giebt sich gern als verwöhnt, um den Freund zu Anstrengungen zu zwingen. Man nehme das nicht ernst. In seiner Heimat ist der Regen nicht nasser als in Berlin.
    Selbstverständlich ist, daß man ihn vorzugsweise dahin führt, wo man noch nicht gewesen ist und nur in Gesellschaft eines erwachsenen Fremden erscheinen kann. Es ist merkwürdig, wie viele solcher Lokalitäten in Berlin existieren. Der Gattin schildere man sie als langweilig, was ihr angenehm ist, obschon sie daran zweifelt.
    Hat man irgend etwas zu thun, wobei der Fremde überflüssig ist, so stelle man ihn vor dem Brandenburger Thor oder zwischen Charlotten- und Friedrichstraße auf und sage ihm, der Kaiser werde gleich vorüberfahren. Bis der Kaiser vorüberfährt, hat man eine gute Stunde vor dem Fremden Ruhe.
    Kommt der Fremde aus einer kleinen Stadt. so findet er, wie der Logierbesuch, an Berlin viel auszusetzen. Man stimme in jeden, meist blödsinnigen Tadel ein, um ihn bei guter Laune zu erhalten. Er amüsiert sich nur, wenn er Berlin rüffeln kann, abgesehen davon, daß man sich im anderen Fall langweilte, indem man, wenn er Berlin herausstriche, lauter Dinge hören müßte, die man längst und besser kennt.
    Will der Fremde ins Theater gehen, so empfehle man ihm ein Stück, das man schon gesehen hat, weil er nicht darauf eingeht, sondern ein anderes Stück wählt, das man vielleicht noch nicht gesehen hat.
    Man unterschätze die Schwierigkeit

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