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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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Minister, Regiments-Kommandeur, Fabrikant, Bankier, Kaufmann oder etwas anderes ist.
    Man stelle sich pünktlich ein und vor allem ohne kostspielige Garderobestücke. Käme man unpünktlich, so würde der Chef behaupten, man komme immer zu spät und sei überhaupt unzuverlässig. Kommt man im noblen Anzug, trägt eine schwere Uhrkette und Lackschuhe, so denkt er vielleicht an eine Herabminderung des Gehalts, um den jungen Mann vor fernerer Verschwendung zu schützen.
    Fragt man nach dem Befinden des Chefs und dieser gesteht herablassend Erkältung oder Nervosität ein, so erbleiche man und könne sich nicht fassen. Keinenfalls äußere man große Freude über das Vernommene.
    Wird auf das Wohl des Chefs getrunken, so springe man wie besessen auf und schreie, anstatt nur einzustimmen. Auch hier bewache man sorgfältig die geheimen Gedanken.
    Bevor man sich nach dem Befinden der Schwiegermutter des Chefs erkundigt, suche man erst festzustellen, wie er mit der Dame steht. Erfährt man, daß er in Wut gerät, wenn er an sie erinnert wird, – es giebt ja solche Barbaren, – so frage man ihn sofort nach ihrem Befinden. Er wird sich hüten, deshalb unfreundlich zu sein.
    Den Wein finde man vorzüglich, auch wenn er ein so leichter Mosel sein sollte, daß er die Kasse des Chefs nicht im geringsten beschwert.
    Man finde den Chef brillant aussehend, besser als im vorigen Winter.
    Wenn man Raucher ist, so verneine man aus zwei Gründen die Frage des Chefs, ob man rauche. Erstens ist es ihm angenehm, wenn der Angestellte nicht raucht, und zweitens befindet sich die Cigarre, die nach solchem Mittagessen umgeht, schon seit einigen Jahren nicht auf dem Wege der Besserung.
    Regt einer der älteren Angestellten die Idee, dem Chef zur Erinnerung an den schönen Speisezettel ein Album mit den Porträts sämtlicher Angestellten zu stiften und stellt eine Tellersammlung zu den Kosten des Albums an, so gebe man, wenn man keinen größeren Knopf bei sich hat, zehn Pfennig.
    Bittet der Chef, wenn aufgebrochen wird, man möchte doch noch einen Augenblick bleiben, so mißverstehe man ihn nicht, sondern bleibe nicht länger. Dann gehe man und sage sich zum Trost, dieses Mittagessen werde den Angestellten doch nur einmal im Winter zugefügt. Dann aber urteile man über das Vorgefallene möglichst milde, denn man kann ja selbst eines Tages Chef werden.
    So schwierig der Umgang mit den zahlreichen Gästen des Herrendiners sich gestaltet, so schwierig ist er auch mit einzelnen Personen. Ein erstes Muster einer solchen Person ist der
Logierbesuch,
    ein zweiter der Fremde, den man hat. Die erstere Person erfährt dadurch eine gefährliche Verschärfung, daß sie gewöhnlich ein Verwandter ist.
    Ein Familienmitglied, welches sich entschließt, einige Tage in der Residenz zuzubringen, wird wahrlich, wie es brieflich versichert, nicht Logierbesuch, weil es das Geld einer Hotelwohnung sparen will. Nein, sagt der Briefleser, wegen der größeren Billigkeit.
    Der Logierbesuch, der aus einer kleinen Stadt herbeieilt und von den Verwandten auf dem Bahnhof mit Blumen erwartet wird, ist eine anspruchsvolle und unzufriedene Persönlichkeit. Kommt er nun gar aus einer Stadt, in welcher es noch keine Droschken giebt, so findet er schon auf der Taxameterfahrt in die Wohnung, daß die Verkehrsmittel Berlins noch in den Windeln liegen. Namentlich wünscht er die Züge der Stadtbahn, die auf dieser Fahrt über seinem Haupt verkehren, weniger geräuschvoll.
    Beklagt er sich darüber, daß das Asphaltpflaster noch nicht allgemein sei und nur zu häufig vom Steinpflaster unterbrochen werde, so fasse man Mut und erkläre kurz und bündig und der Wahrheit gemäß, daß man unschuldig daran sei.
    Man sorge dafür, daß das Fremdenzimmer nach hinten hinaus liege, damit der Besucher nicht zu früh von dem Straßenlärm aufgeweckt werde. Aus demselben Grunde gebe man ihm abends keinen stärkeren Kaffee, sondern schweres Bier zu trinken.
    Giebt es in der Heimat des Besuchers kein Theater, oder nur ein solches, das alljährlich auf vierzehn Tage in den großen Kasinosaal gastieren kommt, so sei man in der Wahl des Theaters doppelt vorsichtig. Denn der Logierbesuch stellt an Darstellung und Inscenierung die höchsten Ansprüche. Wenn dies irgend möglich, führe man ihn in eine Novität, damit er keine Vergleiche anstellen kann, welche immer zum Nachteil der Berliner Bühnen ausfallen. Selbst Schillers »Räuber« kennt er bereits.
    Will der Verwandte einer Reichstagssitzung

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