Der Moderne Knigge
der Führung nicht. Wenn man einen aus einer kleinen Stadt gebürtigen Fremden in das Linden-Café führte, keinen Platz fände und wieder mit ihm fortgehen müßte, so wird er sich trotzdem das genannte Café voller gedacht haben. Er wird hinzusetzen, daß über Berlin doch manche falsche Nachricht verbreitet sei.
Will der Fremde das Innere der Schlösser sehen, so sage man ihm, sie seien bis Ende nächsten Monats wegen baulicher Arbeiten geschlossen. Das klingt glaubhaft. Nur wenn er die kolossale Arbeit allein verrichten will, ermuntere man ihn noch obenein und freue sich, davonzukommen.
Der Fremde pflegt einen längeren Zettel mitzubringen, welcher das Menu der Sehenswürdigkeiten bildet, von denen er keine versäumen möchte. Darunter befinden sich solche, welche der Berliner selbst nur selten aufsucht, z. B. der Juliusturm, das Wohnhaus des alten Derfflinger, der Platz, auf welchem die Spittelkirche gestanden hat, u. s. w. Da der Zettel jeden Augenblick aus der Tasche genommen werden kann, so sei man auf eine Ausrede vorbereitet.
Will man den Fremden zum Frühstück einladen, so führe man ihn, um ihm zugleich ein buntes Stück Volksleben zu zeigen, zu /nAschinger[Eine Kette von preiswerten Restaurants] . Wenn der Fremde sich durch eine Einladung revanchieren will, so schlage man ihm Dressel oder Hiller vor mit dem Bemerken, daß es auch dort nicht an Volksleben fehle. Man sei überhaupt nicht zu sparsam mit der Kasse des Fremden, denn der Geiz macht allemal einen widerlichen Eindruck.
Reist der Fremde wieder ab, so nehme man zum Bahnhof ein sauberes Taschentuch mit. Denn es giebt wenige irdische Freuden, welche der einer solchen Begleitung gleichen, und man könnte sich doch derselben derart überlassen, daß man dem absausenden Zug mit dem Taschentuch nachwinkt. Dann ist es gut, daß das Taschentuch sich sehen lassen kann.
Wir haben vielleicht zu lange bei diesen beiden einzelnen Herren verweilt und beeilen uns, zu dem großen und figurenreichen Veranstaltungen zurückzukehren, deren anstrengendste die
Maskerade,
der
bal masqué
, oder wie man dieses Karnevals-Institut nennen will, zu sein pflegt und einige wohl gemeinte Ratschläge wohl als nützlich erscheinen lassen dürfte.
Die landläufige Maskerade, wie sie sich in den Zeitungen anzukündigen pflegt, gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, das nur von den Wenigen erlegt wird, welche zufällig kein Freibillet haben, zu besuchen und zum Nutzen der Küche und des Kellers irgend eines einnahmebedürftigen Wirts arrangiert, ist eigentlich keine. Man besucht sie entweder im Frack, welcher in den Kreisen solcher Wirte als Maske gilt, oder entnimmt, wenn man Grund hat, inkognito zu sein, an der Kasse irgend einen noch wenig geflickten Domino und betritt so, von allen Seiten als Sonderling betrachtet und als solcher behandelt, den Saal.
Man vergesse keinen Augenblick, daß der Karneval kein geborener Norddeutscher ist, und erwarte kein Verständnis für den Mummenschanz. Macht man also einen Maskenscherz, so hat man sich es selbst zuzuschreiben, wenn man aus dem Saal fliegt. Öffentliche Maskenbälle besuche man daher nur in einem Lokal, in dessen Nähe sich Sanitätswache und Unfallstation befinden.
Kann man aus irgend einem Grunde den Besuch nicht unterlassen, so mache man keinen Spaß mit einem, den man nicht genau kennt. Denn der eine, den man nicht genau kennt, ist vielleicht ein geborener Spaßverderber und haut zu, was er »verbitten« nennt, und dann ist doch der ganze Abend verdorben.
Wählt man eine Maske, so verfalle man nicht auf die eines Rowdy mit Ballonmütze und Dame. Denn man könnte in die Lage kommen, von den anwesenden echten Rowdies angesprochen und, da man hierauf nicht antworten kann, als der Spionage verdächtig durchgebläut zu werden. Dies schmälert jedes Vergnügen beträchtlich.
Trinkt man auf solchen Maskeraden gern deutschen Sekt, erstens: weil er billig ist, und zweitens: weil er ähnliche Kopfschmerzen wie der französische hervorruft, so bestelle man französischen Sekt. Man bekommt dann deutschen, der allerdings wie der französische berechnet wird. Dies liegt aber nur an der falschen Etikette, die sich auf der Flasche befindet.
Tanzt man mit einer Dame, die ein Gretchenkostüm trägt, so spreche man mit ihr nicht über das Wesen Gretchens. Da sie nämlich davon nichts weiß, so wird sie verstimmt und ruft vielleicht einen anwesenden Beschützer herbei, der schon vorbestraft ist. Ebenso verhalte man sich gegenüber
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