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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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ein, daß er talentiert gewesen sei. Das macht immer einen guten Eindruck. Ist man Dilettant, so sei man bedeutend strenger, da dies an Mozarts Unsterblichkeit nichts ändert.
    Wenn man gewöhnt ist, jede Mode mitzumachen, so spreche man über Meyerbeer so lange wegwerfend, bis man das, was er geleistet hat, wieder anerkennt. Dann anerkenne man mit.
    Ist man kein Musikkenner, so erkundige man sich sorgfältig, ob nicht aus irgend einem Grunde das Programm abgeändert, oder das Programm nicht fehlerhaft ist. Sonst ist man selbstverständlich von Bach oder Haydn entzückt und es war Bungert [Fußnote: [August Bungert (1845-1915), Komponist]] , also doch immerhin etwas anderes, wodurch man den guten Freunden zu viel Vergnügen macht.
    Wird als Dacapogabe das Lied mit dem Refrain »Wie einst im Mai« vorgetragen, so sei man melancholisch gestimmt, aber nicht durch dies schöne Lied, sondern weil man ihm nicht ausweichen kann.
    Sollen sämtliche Müllerlieder gesungen werden, so freue man sich so laut, daß es sechs Personen weit gehört wird, denn durch das Gegenteil wird es nicht ein einziges Müllerlied weniger.
    Sieht man einen Herrn, welcher eine Partitur, die er auf dem Schoß aufgeschlagen hat, nachliest, so glaube man nicht an die Notwendigkeit, mache aber keine Bemerkungen darüber. Wer kann wissen, durch welche Schicksale er so weit geführt worden ist!
    Singt eine Sängerin falsch, so applaudiere man, denn erstens ist es eine Dame und zweitens sind wir alle doch Menschen. Trifft sie einmal den Nagel nicht auf den Notenkopf und ist sie jung und hübsch, so verzeihe man ihr gern. Dem Notenkopf schadet der Fehler nicht, und der Hörer wird wohl auch schon einmal einen Fehltritt begangen haben.
    Läßt eine Pianistin etwas lange auf sich warten, so sei man nicht gleich ungeduldig. Noch fünf Minuten, sieh, da bringen sie sie schon.
    Man gähne nicht während einer langweiligen Orchesternummer, obschon das Gähnen eine Befreiung ist. Wer aber gähnt, beweist, daß er ein Neuling, noch nicht in Konzerten abgehärtet und ebensowenig mit allen Virtuosen gehetzt ist.
    Ist man ein scharfer Kritiker und will einen Künstler für irgend ein Vergehen strafen, so lobe man einen anderen. Dies kränkt ihn mehr, als ihn ein Lob freuen würde, das man über ihn drucken ließe.
    Protegiert man als Kritiker einen Nichtskönner, oder eine Nichtskönnerin, und fällt er, oder sie dann im Konzert durch, so jammere man in der Kritik über den Mangel an Verständnis im Publikum und über den Niedergang des ästhetischen Gefühls. Um dem Wehgeschrei auch einen bestimmten Ausdruck zu geben, schließe man die Kritik mit den Worten: Was wird werden?
    Verläßt man das Konzert und wird von einem Herrn im Garderobenraum grob behandelt, so entschuldige man sich, daß man ihm Grund zur Unzufriedenheit gegeben habe, auch wenn dies nicht geschehen ist. Es ist aber gut, wenn man zeigt, wie veredelnd die Musik auf die Menschen wirkt.
Vorlesungen
    sind mit Konzerten nicht zusammen zu nennen, schon ihrer Seltenheit wegen. Während die Konzerte niemals nicht stattfinden, sondern derart fortwährend, daß die Nachbarhäuser der Konzertsäle entwertet werden und deren Bewohner über Ruhestörungen und Hausfriedensbrüche klagen, stößt man nur dann und wann auf eine Vorlesung. Die in der Umgebung der Konzertsäle Wohnenden haben zwar beschlossen, an den Tagen, an welchen kein Konzert stattfindet, ihre Häuser zu flaggen, aber seit einem Jahrzehnt hat sich zu dieser schönen Demonstration noch keine Gelegenheit gefunden, dagegen lassen sich die Vorlesungen einer Wintersaison an den Fingern abzählen, die man vielleicht hierzu nicht alle braucht. Es liegt dies daran, daß wohl mehr als siebenachtel der Bewohner Deutschlands musikalisch zu sein lügen und wenigstens ein Instrument, und sei dies auch nur das Klavier, spielen oder in einer anderen künstlerischen Form toben, während die Litteratur nur ein im Vergleich mit dieser musikalischen Präsenzstärke kaum nennenswertes Kontingent mobil machen kann.
    Die Vorlesung ist eine bescheidene Erscheinung und unterscheidet sich schon dadurch wesentlich vom Konzert, dessen ganzes Wesen der Radau ist, das mit Riesenlettern bombardiert und mit ellenlangen Plakaten um sich haut. Man ist also in der Lage, wenn man nicht in Vorlesungen geht, zu behaupten, daß man von ihrem Herannahen nichts gewußt habe.
    Man versäume indes keine Vorlesung von Strakosch , welcher in Schaltjahren an 366 Abenden vorliest. An

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