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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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Novität nichts oder wenig sieht oder hört. Über diese erfährt man ja am anderen Morgen jedenfalls das Nähere.
    Wenn man nicht recht weiß, wie man über eine Novität urteilen soll und wie man sich amüsiert hat, so warte man gleichfalls die nächsten Morgenzeitungen ab. Erfährt man es auch aus diesen nicht, so schelte man auf die Rezensenten.
    Ist man über Stück und Darstellung anderer Meinung als der Kritiker, so halte man sich für unbedingt klüger und nenne die Kritiker Dummköpfe, Hansnarren, bestochen, Liebediener, Esel, Schauerböcke, Kläffer und Verrückte, wodurch man sich den Respekt und die Bewunderung in der Gesellschaft und am runden Tisch sichert. Ist aber einer der Kritiker anwesend, so zeige man Mut und stimme ihm vollkommen bei.
    Findet man eine Schauspielerin oder Sängerin häßlich, so kaufe man ihre Photographie. Auf dieser sieht sie immer sehr bezaubernd aus.
    Findet man einen Schauspieler oder Sänger unbedeutend, so kaufe man seine Photographie. Auf dieser sieht er immer sehr bedeutend aus.
    Ist man auf ein Freibillet ins Theater gegangen und möchte dies verdecken, so sei man ein dankbarer Zuschauer, applaudiere und lobe, denn es ist allgemein bekannt und kann auch nicht bestritten werden, daß Freibilletbesitzer stets unzufrieden sind und dem Theater gern jeden Erfolg schmälern, während sich jeder, der seinen Platz bezahlt hat, nicht gern den Genuß gewaltsam verkümmert.
    Will der Besitzer eines Freibillets ein Übriges thun, um den Eindruck hervorzurufen, er habe seinen Platz bezahlt, so rufe er im Foyer mehrmals ärgerlich aus: Schade ums Geld! Wird er zur Rede gestellt, so rechne er dem Ankläger vor, daß er zehn Pfennig für den Theaterzettel und fünfundzwanzig für die Garderobe bezahlt habe. Dies stimmt häufig.
    Man habe immer zwei Theaterzettel, nämlich einen zum verleihen. Denn es giebt gewerbsmäßige Zettelpumper, welche sich gern den Abend um zehn Pfennig verbilligen und, wie auf der Straße um Feuer, im Theater um den Zettel bitten, ohne wegen Bettelns bestraft zu werden.
    Will man sich im Zwischenakt ganz besonders angenehm machen, so zeige man einem Freunde aus der Provinz alle litterarischen Berühmtheiten, wenn er solche sehen will. Diesen Wunsch erfüllt man, indem man einem ganz harmlosen Herrn den Namen eines berühmten Schriftstellers verleiht und dies so oft wiederholt, bis man keinen berühmten Namen mehr weiß. Da der Freund aus der Provinz keine Kontrolle ausüben kann, so hat man völlig freie Hand, und er verlebt einen interessanten Abend, vielleicht den interessantesten seines Lebens.
    Wohnt man der Vorstellung eines Goetheschen Stückes bei, so äußere man dann und wann, Goethe sei eigentlich kein dramatischer Dichter. Dies macht Aufsehen und den Eindruck, man sei ein Kenner von großer Bildung. Zu motivieren braucht man den Ausspruch nicht, man sagt es gewissermaßen dienstlich.
    Will man sich sehr lächerlich machen, so nenne man Kleists Hermannschlacht ein Schandstück, wie es der Bürgermeister Lueger gethan hat. Ich kann mir aber nicht denken, daß man sich sehr lächerlich machen will, abgesehen davon, daß es nicht hübsch ist, ein Plagiat zu begehen.
    Ist man ein älterer Herr, so habe man jedes klassische Stück schon besser aufführen sehen. Jedem jungen Schauspieler stelle man einen längst der Geschichte angehörenden gegenüber. Den Hörer macht dies ganz hilflos, und man hat auf diese Weise doch etwas von dem Pech, älter als er zu sein.
    Ist man ein Freund von beispiellos kritischem Blödsinn, so suche man nach einer Novität ein Café oder Bierhaus auf, wo Schauspieler und Theaterhabitués verkehren, und setze sich zu ihnen. Man wird ungemein befriedigt werden und gegen Morgen das Lokal mit Vergnügen verlassen.
    Hat man in einer Erstaufführung einen Vorderplatz in der Loge, so überlasse man diesen galant einer Dame, die einen Platz im Hintergrund der Loge hat. Denn man kann dann bequemer flüchten, wenn das Stück allmählich unerträglich wird.
    Eines Opernguckers bediene man sich nur, um an der Seite der Gattin eine andere Dame ansehen zu können, so daß die Gattin es nicht merkt. Will man ganz sicher sein, so sage man, während man eine junge Schöne ansieht: Ei, da ist ja auch die alte Frau Meier.
    Sitzt man in der Vorstellung eines klassischen Dramas neben einem Herren, der dieses Drama in einer Reclamschen Ausgabe nachliest, so freue man sich, wenn in ihm während des Abends nicht die Tobsucht ausbricht.
    Sitzt man im

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