Der Moderne Knigge
erteilt zu werden brauchen, weil jeder gewiegte Gast sie sich selbst giebt. Der erste ist der: Man hänge den Paletot an eine Stelle, die man immer im Auge hat, um bereit zu sein, wenn sich der Paletotmarder nähert. Der Paletotmarder hat ein feines Gefühl für die Aufsicht, unter der sich das genannte Kleidungsstück befindet. Aber die Gefahr ist immer groß, denn es ist noch nicht vorgekommen, daß jemand zwei Paletots anstatt eines oder einen besseren vorgefunden hat. Dasselbe gilt von den Schirmen und Stöcken. Den Stock behalte man überhaupt bei sich, denn man kann nicht wissen, wozu man ihn braucht.
Rief man längere Zeit vergeblich nach dem Kellner, so stoße man den Schrei aus: Zahlen! Alsbald erscheint der Zahlkellner, bei dem man dann die betreffende Bestellung anbringt.
Ist ein Kellner grob, so freue man sich, nicht der Kellner zu sein, denn dieser bekommt dann größere Grobheiten zu hören.
Wenn man ein Freund der Musik sein sollte und dies bleiben möchte, so gehe man in kein Wirtshaus, in welchem Musik ist, denn dann wird man ihr Feind.
Sieht man gern illustrierte Zeitungen an, so bestelle man das neueste Abendblatt. Da dies nicht frei ist, bekommt man sofort die »Leipziger Illustrierte Zeitung«.
Den Buffetdamen, namentlich in der Bar, mache man nicht den Hof. Diese geplagten Wesen möchten doch auch einmal eine Abwechslung haben.
Man politisiere im Wirtshaus nicht, weil es vergebliche Arbeit ist. Denn an den Stammtischen sitzen immer die größten Politiker der Gegenwart, die spätestens um zehn Uhr abends alles geordnet haben.
Will man sicher sein, in einem Restaurant, das man bisher nicht besucht hat, Bekannte zu treffen, so betrete man es in Begleitung einer Dame, mit der man nicht gesehen sein will. Sofort sieht man die gewünschten Bekannten, oder doch wenigstens einen. Ist man dann zufällig überzeugt, daß die betreffende Dame von keiner Seele in der Stadt gekannt ist, so pflegt nicht ein einziger Gast anwesend zu sein, der sie nicht ziemlich genau kennt.
Bestellt man sein Leibgericht, so ist es gestrichen. Also bestelle man es nicht.
Merkt man in dem Augenblicke, wo man etwas bestellen will, daß man kein Geld bei sich hat, weil man auch keins zu Hause hat, und fehlt einem auch der beliebte Kellnerkredit, so sage man sich dies mehrmals hintereinander, und es vergeht einem der Appetit.
Wird man vom Hunger verleitet, Zechpreller zu werden, so ist es kein anständiger Hunger. Läßt man sich aber verleiten, so sei man sicher, vom Kellner erwischt zu werden, denn der Zechpreller ist mit der Zeit dumm geworden. Es giebt überhaupt so viele Arten ungefährlicher Zechprellerei, daß man erstaunen muß, wie sich noch jemand der alten und gefährlichen Art bedienen kann. Jeder hat wohl in seiner Bekanntschaft einen Zechpreller, der sich ohne das geringste Risiko Speisen und Getränke zu verschaffen weiß. Außer der gewöhnlichsten Zechprellerei, die darin besteht, daß man unbefangen an einen Tisch herantritt, an welchem ein guter Freund speist und unter der Versicherung, man habe schon gespeist, die freundliche Einladung des nicht gern allein speisenden Freundes annimmt und dann wie für das Vaterland einhaut, möchte ich hier für diejenigen, die noch Laien in der Zechprellerei sind, einige Meter Leidfaden liefern.
Man erkläre an einem Tisch das Portemonnaie, das man, wie man gewiß wisse, zu sich gesteckt hat, für verloren und setze hinzu, den Verlust des Geldes verschmerzen zu können, jedoch sei das Portemonnaie ein liebes Angedenken an einen teuren Freund. Freunde sind immer teuer. Aber als ebenso fatal bedaure man, dem Kellner sagen zu müssen, daß das Portemonnaie seinen Herrn verloren habe. Nun wird man an dem Tisch des Bekannten durch eine Einladung förmlich zur Zechprellerei gezwungen und prellt dann auch nach einigem Sträuben.
Hat man das Portemonnaie schon zu häufig als verloren benützt, so wartet man in der Plauderei am Tisch auf die passende Gelegenheit, die sich ja immer bietet, als Wettender wie ein Donnerwetter auf den Freund niederzufahren. Preis der Wette: das Abendessen. Eingeschlagen! Natürlich gewinnt man und zechprellt.
In Restaurants, wo dies angängig, schlägt man vor, um das Abendessen zu würfeln. Natürlich mit Vorsicht, denn der Freund mogelt vielleicht selber. Verliert man, so merkt man, wenn der Zahlkellner erscheint, daß man kein Geld bei sich habe. Man durchsucht alle Taschen, auch solche, die man nicht an der Innenseite der Weste hat, und
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