Der Moderne Knigge
müssen, sei man also in die Nachbarin verliebt.
Wohnt man der Vorstellung einer Posse bei, so wird man in seiner Nähe einen Narren finden, der außer sich ist und den Kopf bedenklich schüttelt, wenn man lacht. Dann lache man auch über diesen Narren und sei ihm dankbar gesinnt.
Hört man während eines allgemeinen Beifalls zischen, so darf man überzeugt sein, daß der Zischer bezahlt ist, denn sein Zischen bewirkt immer einen etwas gesteigerten Beifall. Ist er nicht bezahlt, so bedauere man ihn, denn dann ist er unheilbar.
Im Foyer vermeide man, über die Aufführung mit solchen Leuten zu reden, welche wegen ihres Urteils in Ansehen zu stehen scheinen, denn sie reden sehr viel und noch lauter. Man vermeide sie, weil sie absolut nichts vom Theater verstehen.
Wenn man nicht sehr klassikerfest ist, so überzeuge man sich, bevor man das Theater betritt, ob nicht die Vorstellung geändert worden ist und ein anderes Stück gegeben wird, oder ob man nicht ein Stück zu sehen glaubt, das gar nicht zur Aufführung gelangt. Es ist im Deutschen Theater zu Berlin vorgekommen, daß ein Herr, der einen sehr anständigen Eindruck machte, in einer Vorstellung der Schillerschen »Maria Stuart« im zweiten Akt zu seinen beiden Damen sagte: »Das ist ja alles sehr hübsch, aber warum das Stück ›Die Kinder der Excellenz‹ heißt, das weiß ich nicht.« Dergleichen ist nur dann nicht unangenehm, wenn keine Ohrenzeugen anwesend sind.
Möchte man einmal einen Menschen sehen, dem niemals ein Witz gelingt und der ebenso selten einen guten Einfall hat, so betrachte man den Zuschauer, der bei irgend einem Scherz Au! ruft. Wem selbst dann und wann ein guter oder schlechter Witz einfällt, der wird im Theater nicht auen. Das Au! ist nur dann oft nicht zu vermeiden, wenn der Autor gerufen wird.
In einer Erstaufführung bemühe man sich, die Urteile der Dummköpfe zu hören, deren jeder das betreffende Stück besser gemacht hätte und genau angiebt, wie er es gemacht haben würde. Da wird man mit leichter Mühe lernen, wie man sich davor bewahrt, durch ein ähnliches Geschwätz lächerlich zu werden.
Es giebt im Theater angenehme Nachbarn, welche dann und wann fragen, was eben auf der Bühne gesagt worden sei. Diesen antworte man höflich und der Wahrheit gemäß: »Was der Verfasser vorgeschrieben hat.« Will man aber gern wieder und immer wieder gefragt werden, so unterlasse man die angegebene Antwort und gebe genaue Auskunft. Denn man trifft im Theater viele Leute, welche das Prinzip haben: Im Theater langweile man sich nicht, sondern andere. Man muß also dafür sorgen, daß man keiner der anderen sei und gelangweilt werde.
Hört man jemand alles tadeln, was die Bühne leistet, so kann man sicher sein, einen Herrn aus einer kleinen Stadt zu hören, der noch nichts gesehen hat.
Fällt ein Stück mit oder ohne Pauken und Trompeten durch, so gebärde man sich nicht, als sei man von dem armen Autor persönlich beleidigt worden. Man ist doch nicht sicher, daß man nicht auch eines Tages strauchelt und ein Stück schreibt, und wer garantiert dafür, daß es ein Kassenstück wird? Vielleicht wird es nicht zu Ende gespielt. So angenehm dies vielen sein mag, da sie dann um so früher zum Abendessen kommen, so unangenehm wird man persönlich dadurch berührt.
Amüsiert man sich nur dann im Theater, wenn ein Skandal losbricht und ein Stück durchfällt, so vermeide man trotzdem die Novitätenabende. So niederträchtig es ist, mit solchen Hoffnungen ins Theater zu gehen, so möglich ist es doch auch, daß die Novität nach Verdienst gefällt. Dann hat man den Abend verloren und sich den Erfolg der Arbeit eines fremden Mannes selbst zuzuschreiben. Allerdings kommt man, wenn man den Erstaufführungen fernbleibt, um manchen Theaterskandal und muß so auf etliche Freuden verzichten, und es ist auch schwer zu sagen, wie man sich als Theaterskandaler ergötzen soll, wenn man die Premieren meidet. Hier versagt also mein Leitfaden. Es steht aber fest, daß man nicht mit Sicherheit auf den Durchfall eines neuen Stückes rechnen kann, wie es so allgemein geschieht.
Findet in einem der königlichen Theater eine Erstaufführung statt und ist der Hof anwesend, so starre man fortwährend in dessen Logen. Dies giebt einem das Ansehen eines begeisterten Anhängers der Regierung und ihrer hervorragenden Mitglieder, sowie das eines noch unverdorbenen Gemüts und verbindet zugleich das Angenehme mit dem Nützlichen, indem man von der vielleicht wertlosen
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