Der Moderne Knigge
die Teilnehmer des Festes gratis, arrangiert, so versäume man auch diese nicht, auch wenn man das angekündigte Stück schon kennt. Man muß eben bereit sein, der Zusammengehörigkeit ein Opfer zu bringen.
Man sei auch darin ein ganzer Mann, daß man die an den Festtafeln zur Verteilung kommenden Lieder nicht nur mitsingt, sondern sie auch sorgfältig einsteckt und mit in die Heimat nimmt.
Dem Zank der Brüder, oder gar einer zwischen ihnen ausbrechenden Prügelei bleibe man fern, damit man nicht als Zeuge beunruhigt werden kann. Man ziehe in eigenem Interesse vor, weiterzutrinken und höchstens den Kopf zu schütteln.
Gegen die Wirte des Freiquartiers sei man freundlich, wie es sich für das Mitglied eines Verbandes paßt, zu dem das Vaterland mit Stolz aufblickt. Gegen das Dienstmädchen, welches morgens das Frühstück bringt, benehme man sich ebenso.
Wohnt man als Freibeuter einem Sängertag bei, so singe man nicht nach dem Aufstehen, um sich den Wirtsleuten nicht zu verraten. Man ziehe es vor, zu turnen, während man, wenn man in gleicher Eigenschaft einem turnerischen Fest beiwohnt, getrost singen kann. Hat man aber als Teilnehmer eines Sängertages zufällig Stimme, so singe man gern und selbst bei unpassenden Gelegenheiten, so z. B. wenn die Hausfrau Zahnschmerzen hat. Aber es wird dann doch bemerkt, daß man einem Verbande angehört, auf den das Vaterland mit Stolz aufblickt.
Wohl mit größerem Stolz als auf die Sänger und Turner blickt das Vaterland auf die Schützen. Aber man sollte sich trotzdem damit begnügen, die Feste der Sänger und Turner mitzumachen und den Schützenfesten fernbleiben. Denn es wird auf Schützenfesten doch viel getrunken, und also könnte man doch leicht jemand über den Haufen schießen. Allerdings käme man mit geringer Strafe davon, aber so kurz ist keine Gefängnißstrafe, daß man sie nicht lieber ganz vermiede.
Dem wirklichen Turner, Sänger oder Schützen ist aufrichtig Glück zu wünschen, ihm aber auch ans Herz zu legen, daß er, wenn er in seiner Eigenschaft als Bürger Mitglied eines Parlaments würde, nicht so energische Reden gegen die Verwaltungen halte, wenn ihm diese nicht sparsam genug erscheinen. Denn er hat ja auf seinen Wanderfesten die armen Städte zu großen Ausgaben verleitet und hätte jeden angeschrieen, der sie zur Sparsamkeit hätte veranlassen wollen.
Wenn man Lust hat, sich im Sommer von einigen Städten gut sättigen und unterhalten und von den Eisenbahnen billig befördern zu lassen und kann bei den Turnern, Sängern und Schützen kein Unterkommen finden, so wende man sich an andere Korporationen und Vereine, welche billig zu reisen und sich ebenso beköstigt wünschen. Mit Ausnahme des Berufs der Nachtwächter hat jeder Beruf seinen Tag.
Ist man impressionistischer Maler, so wundere man sich nicht, daß man anderswo die Bäume nicht blau und das Gras nicht rot findet wie in der Heimat. Die Bäume sind nun einmal anderswo nicht blau und das Gras nicht rot, das steht fest.
Ist man Arzt und macht einen
Ärztetag
mit, so wird man seinen Patienten einen Gefallen thun, wenn man die Vorträge schwänzt, damit man keine neu erfundene Krankheit mit nach Hause bringt.
Ist man Journalist und nimmt an einem
Journalisten- oder Schriftstellertag
teil, so donnere man eine fulminante Rede gegen den Nachdruck, den man als frechen Straßenraub bezeichnet, durch den der arme Kollege das geistige Eigentum einbüßt. Namentlich thue man dies, wenn man selbst das Verbrechen des Nachdrucks verübt. Deshalb zur Rede gestellt, erzähle man von dem Diebe, der verfolgt wurde und »Haltet den Dieb!« schrie.
Als dramatischer Künstler einer
Wanderversammlung der Bühnengenossenschaft
beiwohnend, spreche man, wenn man das Wort ergreift, nicht von einem geehrten Vorredner, sondern von einem berühmten Seelenmaler, der eben gesprochen hat. Doch auch ohne diese Bezeichnung sagt sich die Versammlung, daß man den geehrten Vorredner für einen hilflosen Stümper hält, der keine blasse Ahnung von den Rollen hat, welche er verzapft.
Wird man dann von einem Kollegen mit den Worten angeredet, er freue sich, endlich die persönliche Bekanntschaft des berühmten Darstellers des Mephistopheles machen zu können, so sei man überzeugt, daß er ein anderes Fach spielt und man in seinen Augen eine zweibeinige Null ist.
Will man nicht durch Dankbarkeit in der großen Gesellschaft störend auffallen, so nenne man das von der Stadt gegebene Abendessen eine traurige
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