Der Modigliani Skandal
hinter seinem Schreibtisch: ein altes Schulpult mit ins Holz gekerbten Initialen und uralten Tintenflecken. Die Maserung fiel ihm ins Auge; mit ihren fließenden Linien ähnelte sie einem Op-art-Gemälde.
Die Studenten begriffen, daß der Kunstunterricht für diesen Abend beendet war. Sie packten ihre Sachen zusammen, verschwanden einer nach dem anderen. Nach fünf Minuten befand sich niemand mehr im Raum außer Peter, der seinen Kopf auf das Pult legte und die Augen schloß.
Es war bereits dunkel, als er zu dem kleinen Haus in Clapham zurückkehrte. Obwohl der Preis ziemlich niedrig gewesen war, hatte es doch eine Menge Mühe gekostet, das Kapital für das Häuschen aufzubringen; aber irgendwie hatten sie's geschafft.
Peter hatte handwerkliche Talente entwickelt und die obere Etage in ein Atelier verwandelt, indem er die Zwischenwände beseitigt und ein großes Decken- bzw. Dachfenster angebracht hatte. Im Parterre lag das Schlafzimmer, in dem das Ehepaar und das Kind schliefen; das Wohnzimmer, die Küche, Bad und Toilette befanden sich in dem Anbau hinten.
Peter ging in die Küche und küßte seine Frau. »Ich habe meinen Gefühlen ziemlich lautstark vor den jungen Leuten Luft gemacht, fürchte ich«, sagte er.
»Nimm's nicht weiter tragisch.« Anne lächelte. »Mad Mitch ist gekommen, um dich aufzumuntern. Er ist im Atelier. Ich mache uns gerade ein paar Sandwiches.«
Peter ging hinauf. Mad Mitch - der »verrückte Mitch« - hieß eigentlich Arthur Mitchell und hatte zusammen mit Peter am Slade studiert. Er war Lehrer geworden, weil ihm das existentielle Risiko eines Künstlerdaseins zu groß war. Er teilte Peters Verachtung für die Kunstwelt mit ihren Ansprüchen und Launen.
Als Peter ins Atelier trat, betrachtete Mitch gerade eines von Peters gerade fertiggestellten Bildern.
»Wie findest du's?« fragte Peter.
»Schlechte Frage«, erwiderte Mitch. »Fordert mich dazu heraus, eine Menge hochgestochenes Zeug über Bewegung, Pinselführung, Komposition und Emotion von mir zu geben. Frag mich lieber, ob ich's bei mir an die Wand hängen würde.«
»Nun, würdest du's tun?«
»Nein. Würde mir zu sehr reinknallen in mein nobles Domizil.«
Peter lachte. »Was ist mit der Flasche Scotch, die du mitgebracht hast? Wollen wir sie köpfen?«
»Aber sicher. Machen wir einen drauf.«
»Hat Anne dir schon erzählt?«
»Ja. Du erlebst jetzt das, wovor ich dich schon vor Jahren gewarnt habe. Aber es geht nun mal nichts über die eigene Erfahrung.«
»Das kann man wohl sagen.« Peter nahm zwei angestaubte Gläser von einem Bord, und Mitch schenkte den Scotch ein. Sie legten eine Hendrix-Platte auf und lauschten eine Weile schweigend dem Feuerwerk der Gitarre. Anne bracht Käsesandwiches, und zu dritt machten sie sich daran, sich zu betrinken.
»Das Schlimmste dabei«, sagte Mitch, »der Kern, sozusagen, der Scheiße, gewissermaßen ...«
Peter und Anne lachten über die verkorkste Metapher. »Sprich weiter«, sagte Peter.
»Das wirklich Wesentliche bei dem ganzen Affentheater, das, worauf es ausschließlich ankommt, ist die Einzigartigkeit eines Werkes. Und in einem wirklich bedeutungsvollen Sinn sind nur sehr wenige Gemälde einzigartig. Falls nicht was ganz besonderes daran ist - wie das Lächeln der Mona Lisa, um das herausragendste Beispiel zu nennen -, ist es wiederholbar.«
»Nicht wirklich«, wandte Peter ein.
»Genau genug in allem Wesentlichen. Ein paar Millimeter weiter links oder rechts, ein kaum merklicher Unterschied in der Farbgebung - dergleichen Dinge fallen nicht ins Gewicht bei so einem Durchschnittsbild von fünfzigtausend Pfund oder so. Guter Gott, Manet hat doch das Bild in seinem Kopf nicht mit hundertprozentiger Präzision auf der Leinwand wiedergegeben - er hat vielmehr ein ungefähres Abbild davon geschaffen. Und er mischte die Farben, bis er den gewünschten Ton einigermaßen getroffen hatte.
Nehmt nur die Jungfrau auf den Felsen. Ein Exemplar davon befindet sich im Louvre, eins in der Nationalgalerie. Alle sind sich darin einig, daß eines von beiden ein Falsifikat ist - aber welches? Das im Louvre, sagen die Londoner Experten. Das in der National-Gallery, sagen die Franzosen. Wir werden es niemals wissen - aber wen interessiert das? Ein Blick genügt, um zu sehen, daß es großartige Bilder sind. Aber wenn irgendwer unwiderlegbar nachweisen könnte, welches von beiden das gefälschte ist, so würde es niemand mehr sehen wollen. Absoluter Schrott.«
Er trank, schenkte sich einen
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