Der Modigliani Skandal
erschienen!
Warum Best sich so blasiert gegeben hatte, begriff er nicht. Schließlich wurde nicht jede Woche, nicht einmal jeden Monat in London eine neue Kunstgalerie eröffnet. Gewiß, die Kritiker mußten eine Menge Ausstellungen besuchen, und die meisten von ihnen bekamen pro Woche kaum mehr als den Bruchteil einer Spalte für ihre Kritiken. Trotzdem hätte man annehmen sollen, daß sich so ein Kritiker für die Neueröffnung einer Galerie ein wenig mehr interessierte. Dieser Mr. Best war offensichtlich nicht gerade das Beste vom Besten.
Er lächelte flüchtig über das Wortspiel, reihte sich an der nächsten Bushaltestelle in die Schlange der Wartenden ein, stand dann mit gekreuzten Armen da und grübelte. Wie hatte das damals nur alles angefangen? An welchem Punkt war ihm das Gefühl für den mit Sicherheit zu erwartenden Erfolg abhanden gekommen?
Er kannte die Antwort nur zu genau.
An der Kunstakademie hatte er entdecken müssen, daß dort jeder genausogut auf cool und lässig, auf echt »hip« machen konnte wie er selbst: Während der letzten Schuljahre hatte er den anderen Pennälern damit gewaltig imponiert, das war jetzt vorbei. Sämtliche Kunststudenten wußten Bescheid über Muddy Waters und Allen Ginsberg, Kierkegaard und Amphetami-ne, Vietnam und den Vorsitzenden Mao. Schlimmer war, daß sie alle malen konnten - Julian jedoch nicht.
Letztlich besaß er weder Stil noch Talent. Trotzdem machte er weiter und bestand sogar einige Examina. Was ihm allerdings wenig nützte. Denn er mußte mit ansehen, wie die wirklich Talentierten wie Peter Usher ihre Studien dann am Slade oder anderswo fortsetzten, während er sich nach irgendwelchen Jobs umtun mußte.
Die Schlange der Wartenden geriet in Bewegung, Julian hob den Kopf und sah, daß sein Bus an der Bordschwelle hielt. Er stieg ein, ging nach oben.
Als er Sarah kennenlernte, hatten es die Umstände gewollt, daß er gerade einen Job hatte, von einem Freund in einem Verlag vermittelt: als Illustrator für ein Kinderbuch. Mit einem hübschen Vorschuß in der Tasche war es ihm nicht schwergefallen, sich vor Sarah als erfolgreicher Künstler aufzuspielen. Als sie den wahren Sachverhalt erkannte, war es bereits zu spät, für sie - und für ihren Vater.
Da es ihm gelungen war, Sarah zu bekommen, glaubte er für kurze Zeit, daß er seinen früheren Glücksinstinkt zurückgewonnen hatte. Aber dann war alles viel schwieriger geworden, als er je gedacht hätte.
Der Bus hielt, und Julian stieg ein, inbrünstig hoffend, daß Sarah nicht daheim war.
Ihr Haus lag in Fulham, obwohl Sarah immer von Chelsea sprach. Ihr Vater hatte es gekauft, und Julian mußte zugeben, daß der alte Knabe ausgezeichnet gewählt hatte. Es war klein -drei Schlafzimmer, zwei Empfangsräume und ein Arbeitszimmer -, jedoch ultra-modern, ganz aus Beton und Aluminium. Julian schloß die Vordertür auf, trat ein und ging die halbe Treppe zum Hauptwohnzimmer hinauf.
Drei der Wände waren aus Glas. Bedauerlicherweise ging das eine Riesenfenster auf die Straße vor dem Haus hinaus, und ein anderes blickte zu der Stelle, wo eine terrassierte Reihe von Häusern endete: lauter Kiefern und Ziegel. Doch das hintere Fenster bot Ausblick auf den kleinen Garten, bestens in Ordnung gehalten von einem Teilzeit-Gärtner, der seine zwanzig Wochenstunden hauptsächlich damit verbrachte, selbstgedrehte Zigaretten zu rauchen und die unverwechselbar britische Makellosigkeit des Rasens zu gewährleisten. Jetzt strömte freundlich-fröhlich die Nachmittagssonne herein und verlieh den goldbraunen Polstern einen wohnlichen Touch.
In einem der tiefen und breiten Sessel lagerte Sarahs langer Körper. Julian beugte sich vor und küßte sie flüchtig auf die Wange.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Er verkniff es sich, auf seine Uhr zu schauen. Es mußte inzwischen fast schon fünf sein, aber Sarah war erst um die Mittagszeit aufgestanden.
Er nahm ihr gegenüber Platz. »Was hast du denn so gemacht?« fragte er.
Sie zuckte die Achseln. In der rechten Hand hielt sie eine lange Zigarette, in der linken ein Glas. Was sie getan hatte? Natürlich nichts. So wie fast immer. Ihre Fähigkeit, nichts zu tun, und das Stunde für Stunde, war für Julian Anlaß zu immer wieder neuer Verblüffung.
Sie bemerkte, daß sich sein Blick auf ihr Glas heftete. »Möchtest du einen Drink?« fragte sie.
»Nein.« Er überlegte es sich anders. »Also gut, ich schließ mich an.«
»Ich hol ihn.« Sie stand auf und ging zur Bar. Als sie
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