Der Modigliani Skandal
Rauhbein wie mir überhaupt zu einem Kontakt kommen kann? Nun, wir haben beide Madame Clair's Charm School in Romford besucht. Es hat meine Mutter Blut, Schweiß und Tränen gekostet, mich einmal pro Woche hinzuschicken - bloß, daß es bei mir nicht viel genützt hat. Ich könnte niemals Schauspieler sein.«
»Was machen Sie beruflich?«
»Hab's Ihnen doch gesagt. Bin 'n heller Junge, der sich auf Schliche versteht.«
»Ich glaub Ihnen kein Wort. Vermutlich sind Sie Architekt oder Rechtsanwalt oder so was.«
Er zog eine flache Dose aus der Hüfttasche, öffnete sie und schüttete zwei blaue Kapseln in seinen Handteller. »Sie glauben auch nicht, daß dies Drogen sind, wie?«
»Nein.«
»Schon mal Speed probiert?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nur Hasch.«
»Dann brauchen Sie nur eine.« Er drückte ihr eine Kapsel in die Hand.
Sie beobachtete, wie er drei schluckte und mit Champagner nachspülte. Dann steckte sie die Kapsel, die er ihr gegeben hatte, in ihren Mund, nahm einen großen Schluck aus dem Glas und schluckte mit Mühe. Als sie die Kapsel nicht mehr in ihrer Kehle spüren konnte, sagte sie: »Bitte! Nichts!«
»Wart mal 'n paar Minuten. Dann bist du soweit, dich splitternackt auszuziehen.«
Sie musterte ihn aus schmalen Augen. »War das deine Absicht?«
Er mimte wieder den Cockney: »Aber wo ich doch echt 'n Alibi habe, Inspektor.«
Samantha hatte plötzlich das Bedürfnis, sich zu bewegen: Mit einem Fuß tappte sie den Takt zu einer nichtexistenten Musik. »Wenn ich's täte«, sagte sie und lachte laut, »würdest du garantiert eine Meile rennen, stimmt's oder hab ich recht?«
Tom lächelte wissend. »Das ist Speed, jetzt merkst du's.«
Sie fühlte sich plötzlich voller Energie. Ihre Augen weiteten sich, und eine leichte Röte stieg in ihre Wangen. »Ich hab diese blöde Party satt«, sagte sie ein wenig zu laut. »Ich möchte tanzen.«
Tom legte seinen Arm um ihre Taille. »Gehen wir.«
Zweiter Teil
Die Landschaft
»Mickey Mouse sieht nicht gerade wie eine richtige Maus aus; dennoch schreiben die Leute keine empörten Briefe wegen der Länge von Mickeys Schwanz.«
E. H. Gombrich, Kunsthistoriker
1
Langsam rollte der Zug durch Norditalien. Die strahlende Sonne war hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden, und die Szenerie wirkte jetzt dunstig, trüb und feucht. In raschem Wechsel folgten einander Weinberge und Fabriken, sie schienen ineinander zu verschwimmen.
Dees ursprüngliche Begeisterung hatte sich während der Reise in Nichts aufgelöst. Noch hatte sie keinen Fund gemacht, das einzige, was sie besaß, war eine vage Fährte. Und stieß sie am Ende dieser Spur nicht auf das Bild, so war praktisch alles für die Katz - taugte höchstens noch für eine Fußnote in einer gelehrten Abhandlung.
Um ihre Finanzen stand es ziemlich miserabel. Sie hatte Mike nie um Geld gebeten; bei ihm auch nie den Eindruck erweckt, daß sie welches brauchte. Sie hatte vielmehr immer so getan, als verfüge sie über mehr Geld, als sie in Wirklichkeit hatte. Jetzt bedauerte sie, daß sie in diesem Punkt nicht offener gewesen war.
Sie hatte gerade noch genug für ein paar Tage Aufenthalt in Livorno und für die Rückreise. Rasch verdrängte sie den Gedanken an Geld und zündete sich eine Zigarette an. Die Rauchwolken halfen ihr bei dem Tagtraum, in dem sie sich ausmalte, was sie tun würde, wenn sie den verlorenen Modigliani fand. Genau das richtige für einen explosiven Anfang bei ihrer Doktorarbeit über die Beziehungen zwischen Drogen und Kunst.
Wenn man's recht bedachte, so steckte womöglich noch mehr drin; es konnte zum Kernstück eines Artikels über die Verkennung des größten italienischen Malers im 20. Jahrhundert werden. Zweifellos würde das Bild genügend Interesse wecken, um ein halbes Dutzend akademische Dispute auszulösen.
Vielleicht würde es sogar bekannt werden als der Sleign - Modigliani - wodurch sie selbst eine gewisse Berühmtheit erlangen würde - ihre Karriere wäre für alle Zeit gesichert.
Vermutlich handelte es sich um ein höchst unorthodoxes Bild, seiner Zeit weit voraus, vielleicht sogar revolutionär. Ob es sich gar um ein abstraktes Werk handeln mochte - um eine Art Jackson Pollock der Jahrhundertwende?
Die Kunstwelt würde dafür sorgen, daß bei Miß Delia Sleign das Telefon nicht mehr stillstand, und man würde sie mit Fragen überschütten: Livorno - wo lag das, wie kam man am besten dorthin? Sie würde einen Artikel veröffentlichen müssen mit
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