Der Modigliani Skandal
erschien der Besitzer, dessen Bauch üppig über dem Plastikgürtel seiner blauen Hose hinwegquoll. Von einem Mundwinkel baumelte eine Zigarette, fast schon zur Hälfte verglüht. Der Wirt sah Dee fragend an.
Sie sprach ein schnelles, flüssiges Italienisch: »Ich hatte geklopft, aber niemand kam.«
Mit fast unbewegten Lippen fragte der Mann: »Was möchten Sie denn?«
»Nach Paris telefonieren.«
Er trat zu einem krummbeinigen Nierentisch bei der Tür und nahm den Telefonhörer ab. »Geben Sie mir die Nummer. Ich mach das dann.«
Dee tastete in ihrer Handtasche nach dem Fetzen Papier, auf dem sie die Nummer des Telefons in Mikes Wohnung notiert hatte.
»Möchten Sie mit einer bestimmten Person sprechen?« fragte der Wirt. Dee schüttelte den Kopf. Mike würde wohl noch nicht zurück sein, aber vielleicht war die Putzfrau in seiner Wohnung - wenn sie beide fort waren, richtete sie sich's ein, wie's ihr paßte.
Der Mann nahm die Zigarette aus seinem Mund und sprach ein paar Sätze ins Telefon und legte auf. Er sagte: »Wird ein paar Minuten dauern. Wollen Sie nicht Platz nehmen?«
Nach dem Spaziergang taten Dee die Waden ein wenig weh. Dankbar sackte sie in einen Sessel.
Der Wirt schien das Gefühl zu haben, sie nicht allein lassen zu dürfen. Aus Höflichkeit? Oder weil er fürchtete, sie könnte eine seiner zahllosen Nippesfiguren stibitzen? Er fragte: »Was führt Sie nach Livorno - die Schwefelquellen?«
Sie hatte keine Lust, ihm die ganze Geschichte zu erzählen. »Ich möchte mir Gemälde anschauen«, sagte sie.
»Ah.« Er ließ seinen Blick über die Zimmerwände wandern. »Wir haben hier ein paar schöne Werke.«
»Gewiß.« Dee unterdrückte ein Schaudern. Bei den gerahmten Drucken handelte es sich hauptsächlich um ebenso düstere wie fromme Darstellungen von Männern mit Heiligenschein. »Gibt es in der Kathedrale irgendwelche Kunstschätze?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Die Kathedrale wurde im Krieg bombardiert.« Irgendwie schien es ihm peinlich zu sein, die Tatsache zu erwähnen, daß Italien sich mit Dees Heimatland im Krieg befunden hatte.
Sie wechselte das Thema. »Ich würde gern Modiglianis Geburtshaus besuchen. Wissen Sie, wo es sich befindet?«
Die Frau des Besitzers tauchte in der Tür auf und schleuderte ihm einen langen, zornigen Satz entgegen. Dee verstand kein Wort: Die Dialektfärbung war allzu stark. Der Wirt antwortete scharf, und die Frau verschwand.
»Modiglianis Geburtshaus?« beharrte Dee.
»Keine Ahnung«, sagte er und nahm die Zigarette aus dem Mund, um sie in den bereits übervollen Aschenbecher zu tun. »Aber wir haben natürlich Fremdenführer, die Sie engagieren können - vielleicht wären die für Sie eine Hilfe.«
»Ja. Ich hätt' gern einen.«
Der Mann verließ das Zimmer, und Dee beobachtete das Kind, das noch immer voller Hingabe sein rätselhaftes Spiel spielte. Die Frau durchquerte das Zimmer, ohne auch nur einen einzigen Blick auf Dee zu werfen. Gleich darauf kam sie wieder zurück. Eine besonders liebenswürdige Wirtin war sie nicht gerade - trotz oder wegen der Freundlichkeit ihres Mannes.
Das Telefon läutete, und Dee hob ab. »Ihr Anruf aus Paris«, erklärte eine Stimme.
Unmittelbar darauf meldete sich eine Frau: »Allo?«
»Oh, Claire«, sagte Dee auf französisch. »Ist Mike noch nicht zurück?«
»Nein.«
»Würden Sie sich bitte meine Nummer notieren und ihm sagen, daß er mich anrufen soll?« Sie las die Nummer vom Telefonapparat ab und legte auf.
Inzwischen war der Besitzer zurückgekehrt. Er reichte ihr eine kleine Glanzbroschüre in schon leicht zerfleddertem Zustand. Während Dee ein paar Münzen hervorkramte und ihn für die Broschüre bezahlte, fragte sie sich, wie oft dieses Büchelchen wohl schon an Gäste verkauft worden war, die es dann bei der Abreise in ihrem Zimmer zurückgelassen hatten.
»Ich muß meiner Frau beim Servieren des Abendessens helfen«, sagte der Mann.
»Ich werde hineingehen. Danke.«
Dee ging durch die Diele ins Speisezimmer und setzte sich an einen kleinen, runden Tisch mit kariertem Tischtuch. Sie warf einen Blick auf die Broschüre. »Das Lazaretto von San Leopolde ist eines der schönsten seiner Art in Europa«, las sie und blätterte weiter. »Kein Besucher sollte versäumen, sich die berühmte Quattro Mori Bronze anzusehen.« Wieder blätterte sie. »Modigliani wohnte zuerst in der via Roma und später in der via Leonardo Cambini 10.«
Der Wirt kam mit einem Teller Engelshaarsuppe, und
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