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Der Modigliani Skandal

Der Modigliani Skandal

Titel: Der Modigliani Skandal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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präzisen Angaben darüber, wo sich das Werk befand. Sie konnte es natürlich auch, in einer Art Triumphzug, ins Stadtmuseum bringen. Oder nach Rom. Oder sie konnte es kaufen und die Welt verblüffen, indem sie …
    Ja, sie konnte es kaufen. Was für ein Gedanke.
    Dann konnte sie es nach London bringen und …
    »Mein Gott«, sagte sie laut. »Ich könnte es verkaufen -«
    Livorno war ein Schock. Dee hatte erwartet, eine Kleinstadt vorzufinden, ein Marktzentrum mit einem halben Dutzend Kirchen, einer Hauptstraße und einem der üblichen »Originale«, die sich im üblichen Klatsch und Tratsch auskannten und alles über alle wußten, die während der vergangenen hundert Jahre hier gelebt hatten. Doch Livorno entpuppte sich als eine Stadt vom Schlage Cardiffs: mit Hafenanlagen, Fabriken, einem Stahlwerk und Touristenattraktionen.
    Mit einiger Verspätung fiel ihr der englische Name für Livorno ein: Leghorn - ein wichtiger Mittelmeerhafen und ein Urlaubsort. Vage erinnerte sie sich an ein paar Fakten aus dem Geschichtsbuch: Mussolini hatte für die Modernisierung des Hafens Millionen ausgegeben, doch schließlich war alles von alliierten Bombern zerstört worden; irgendwie hatte die Stadt etwas mit den Medici zu tun; im 18. Jahrhundert hatte es ein Erdbeben gegeben.
    Dee fand ein billiges Hotel; ein hohes, weißgetünchtes Gebäude mit einer Terrasse, mit hohen, gewölbten Fenstern und ohne Vorgarten. Ihr Zimmer war einfach, sauber und kühl. Sie packte ihren Koffer aus, hängte ihre beiden Sommerkleider in eine Art Schrank. Dann wusch sie sich, schlüpfte in Jeans und Turnschuhe und ging hinaus in die Stadt.
    Der frühe Abend war mild und klar. Oben am Himmel trieben Wolkenmassen, doch konnte man weit draußen, über der See, die sinkende Sonne sehen. In den Hauseingängen standen oder saßen alte Frauen in Schürzen, mit glattem, hinten zu einem Knoten geschürzten grauen Haar und betrachteten das Schauspiel, das ihre kleine Welt ihnen bot.
    In der Nähe des Stadtzentrums flanierten bildhübsche italienische Jungmänner in knapp sitzenden Jeans und enganliegenden Hemden; und mit sorgfältig frisiertem dichtem, dunklem Haar. Ein oder zwei warfen Dee einen kurzen, forschenden Blick zu, doch anzubändeln versuchte keiner. Diese Jungs, wurde ihr klar, waren gleichsam Ausstellungsstücke: ansehen gestattet, berühren unerwünscht.
    Dee schlenderte ziellos durch die Straßen; bis zum Abendessen blieb noch Zeit, und sie überlegte, wie sie es anstellen sollte, in dieser alles andere als kleinen Stadt nach dem Modigliani zu suchen. Die Dinge lagen folgendermaßen: Wer von der Existenz dieses Bildes wußte, würde nicht wissen, daß es sich um einen Modigliani handelte; wer hingegen wußte, daß ein solcher Modigliani existierte, würde nicht wissen, wo er sich befand oder wie er zu finden war.
    Sie schlenderte über eine Reihe schöner, offener Plätze, auf denen die Marmorstatuen früherer Fürsten standen. Sie gelangte zur Piazza Vittorio, einer breiten Avenue mit zentralen Inseln von Bäumen und Gras. Sie setzte sich auf eine niedrige Mauer und bewunderte die Renaissance-Arkaden.
    Wie also sollte sie's anpacken? Ein Herumstöbern in Trödlerläden und auf alten Dachböden würde Jahre in Anspruch nehmen. Irgendwie mußte sie alles eliminieren, was wenig Erfolg versprach, selbst auf die Gefahr hin, daß sie ihr Ziel verfehlte.
    Endlich kam ihr eine Idee. Dee erhob sich und ging rasch zu dem kleinen Hotel zurück. Allmählich spürte sie ein Hungergefühl.
    Der Besitzer und seine Familie wohnten im Parterre. Als Dee das Haus betrat, war niemand in der Eingangsdiele, und so klopfte sie an die Tür der Familienwohnung. Sie hörte Musik und Kinderstimmen, doch niemand kam, um zu öffnen.
    Sie stieß die Tür auf und trat ein. Es war ein Wohnzimmer, ebenso »modern« wie geschmacklos möbliert. In einer Ecke stand eine Musiktruhe aus den 60er Jahren: eine Kombination von Radio und Plattenspieler. Aus dem Lautsprecher plärrte Musik, während auf dem Bildschirm des Fernsehers ein Mann lautlos die Lippen bewegte, ein Nachrichtensprecher offenbar. Auf einem orangefarbenen Nylonteppich in der Mitte des Zimmers befand sich ein niedriger Tisch, eine Imitation des sogenannten skandinavischen Stils, mit Aschenbechern, Zeitungsstapeln und einem Taschenbuch.
    Auf dem Fußboden unmittelbar vor Dee spielte ein kleiner Junge mit einem Spielzeugauto, der sie gar nicht bemerkte. Sie trat über ihn hinweg. In der Tür auf der anderen Seite

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