Der Modigliani Skandal
horchte auf. Offenbar hatte Whitewood doch noch eine Karte im Ärmel. Joe versuchte, seiner Stimme einen nonchalanten Klang zu geben. »Welche meinen Sie?«
»Joe, wie viele von ihnen habe ich in dieser Woche interviewt? Die unterernährte Miß Winacre natürlich.«
Joe starrte finster auf das Telefon. Verdammte Sammy. Jetzt befand er sich in der Defensive. »Wollte Sie sowieso fragen: Wie ist's gelaufen?«
»Ich habe eine tolly Story - ›Samantha Winacre zieht sich zurück‹. Hat sie Ihnen das nicht gesagt?«
Allmächtiger, was hatte Sammy dem Reporter erzählt? »Ganz unter uns, Jim, sie macht da gerade so eine Phase durch.«
»Eine unglückliche Phase, wie es scheint. Wenn sie so gute Drehbücher wie Dreizehnte Nacht ablehnt, dann muß es ihr wohl ziemlich ernst sein mit dem Rückzug ins Privatleben.«
»Tun Sie sich einen Gefallen - nehmen Sie das nicht in Ihren Artikel auf. Sie wird sich's anders überlegen.«
»Höre ich gern. Hab's sowieso rausgelassen.«
»Und was für einen Aufhänger haben Sie genommen?«
»Samantha Winacre sagt: ›Ich bin verliebt.‹ Okay?«
»Danke, Jim. Bis bald. Halt, Augenblick noch - hat sie gesagt, in wen sie sich verliebt hat?«
»Er heißt Tom Cooper. Hab ihn kennengelernt. Scheint ein ausgeschlafener Bursche zu sein. An Ihrer Stelle würde ich auf der Hut sein, wegen des Jobs.«
»Nochmals vielen Dank.«
»Wiedersehen.«
Joe legte auf, der Hörer fiel ihm klappernd aus der Hand. In puncto persönliche Gefälligkeit waren er und Whitewood wieder miteinander quitt; aber das spielte jetzt weiter keine Rolle. Irgendwie stimmte was nicht mit Sammy: Wie konnte sie dem Reporter sagen, daß sie ein Drehbuch ablehnte, ohne zuvor ihren Agenten darüber informiert zu haben?
Er erhob sich von seinem Schreibtisch und trat ans Fenster. Unten gab's das übliche Verkehrschaos. Massenhaft Autos waren falsch geparkt. Jeder nimmt für sich ein Sonderrecht in Anspruch, dachte Joe. Ein Polizist ging vorbei, ignorierte die Ordnungswidrigkeiten jedoch.
Auf dem gegenüberliegenden Trottoir verhandelte eine frühwache Prostituierte mit einem Mann mittleren Alters, einem eher seriösen Typ. In einem Striptease-Club wurden Kisten mit billigem Champagner geliefert. Bei einem geschlossenen Kinoeingang stand ein Orientale mit kurzgeschnittenem schwarzem Haar, der einen grellfarbenen Anzug trug. Er verkaufte einem ungewaschenen, ausgemergelten Mädchen ein Päckchen mit unschwer zu erratendem Inhalt. Als sie dem Mann einen Geldschein gab, zitterte ihre Hand.
Herrgott noch mal, Sammy: Was ließ sich da bloß tun?
Der Schlüssel zu des Rätsels Lösung war natürlich dieser Kerl. Joe trat an seinen Schreibtisch und las den Namen, den er auf seinen Block gekritzelt hatte: Tom Cooper. Wenn sie sich in den verliebt hat, steht sie auch unter seinem Einfluß. Folglich ist er es, der will, daß sie sich ins Privatleben zurückzieht.
Schauspieler engagierten Joe, damit er ihnen half, Geld zu machen. Es waren Leute mit Talent. Joe selbst besaß keines und wußte es. Er hatte von der Schauspielerei so wenig Ahnung wie seine Klienten von geschäftlichen Dingen. Seine Aufgabe war es, Verträge zu prüfen, Gagen auszuhandeln, PR-Beratung zu machen, gute Drehbücher und Regisseure zu finden, in einem Wort: talentierte, aber eben auch naive Menschen sicher durch den Dschungel der Show-business-Welt zu führen.
Seine Pflicht Sammy gegenüber bestand darin, ihr zu möglichst viel Geld zu verhelfen.
Natürlich ist ein Agent viel mehr als nur Geschäftsmann. Für viele seiner Schützlinge war Joe Mutter und Vater gewesen, Liebhaber und Psychiater; sie hatten sich an seiner Schulter ausweinen können, so manchen Klienten hatte er, gegen Kaution natürlich, aus dem Gefängnis geholt; er hatte seine Beziehungen spielen lassen, damit Anklagen wegen Drogenmißbrauchs in der Versenkung verschwanden, und er hatte sogar als Eheberater fungiert.
Wahrhaftig: Mit dem »Geldmachen« allein war es bei weitem nicht getan.
Eine seiner wichtigsten Aufgaben bestand darin, unerfahrene Menschen vor den Haien zu beschützen. In Joes Welt wimmelte es nur so von Haien: Filmproduzenten, die einem Schauspieler eine Rolle gaben, an dem Film ein Vermögen verdienten und sich den Teufel darum scherten, woher der Schauspieler das Geld für die nächste Monatsmiete nahm; lügenhafte Gurus mit irgendwelchen Patentreligionen samt Meditation, Vegetariertum, Mystizismus oder Astrologie, die es verstanden, einen Star um sein halbes
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