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Der Modigliani Skandal

Der Modigliani Skandal

Titel: Der Modigliani Skandal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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zum zweiten Haus. Doch irgend etwas störte sie in ihren Überlegungen: Es gab da etwas Wichtiges, das sie über Modigliani wußte - seine Jugend, seine Eltern, irgendwas sonst; aber sie kam einfach nicht drauf, so sehr sie sich auch anstrengte.
    Sie kam an einem Cafe vorbei, und ihr wurde bewußt, daß es Zeit zum Mittagessen war. Sie trat ein und bestellte eine Pizza und ein Glas Wein. Während sie aß, fragte sie sich, ob Mike wohl noch heute anrufen würde.
    Sie genoß einen Kaffee und eine Zigarette und dachte voll Widerstreben an ihr Pflichtpensum: der nächste Priester, die nächste Kirche, der nächste Haufen verstaubter Bilder. Sie tappte nach wie vor völlig im dunkeln, und ihre Chance, den verlorenen Modigliani zu finden, war äußerst mager.
    Mit plötzlicher wilder Entschlossenheit drückte sie ihre Zigarette aus und stand auf.
    Der zweite Geistliche war älter und weniger hilfsbereit. Während sich seine Augen zu Schlitzen verengten, hoben sich seine Brauen rund zwei Zentimeter, als er fragte: »Warum wollen Sie sich die Bilder ansehen?«
    »Das gehört zu meinem Beruf«, erklärte Dee. »Ich bin Kunsthistorikerin.« Sie versuchte ein Lächeln, doch das schien den Mann noch mehr gegen sie einzunehmen.
    »Eine Kirche ist für die Gläubigen da, nicht für Touristen, verstehen Sie«, sagte er, und seine Höflichkeit war nur ein dünner Firnis.
    »Ich werde sehr still sein.«
    »Auch haben wir nur sehr wenige Kunstwerke hier. Nur das, was Sie bei einem Rundgang sehen.«
    »Dann werde ich einen Rundgang machen, wenn ich darf.«
    Der Geistliche nickte. »Nun gut.« Er blieb im Mittelschiff stehen und beobachtete, wie Dee rasch die Runde machte. Es gab sehr wenig zu sehen: ein oder zwei Bilder in den kleinen Kapellen. Sie kehrte zum westlichen Ende der Kirche zurück, nickte dem Geistlichen zu und ging hinaus. Möglich, daß er sie für eine Kirchendiebin gehalten hatte.
    Enttäuscht und deprimiert ging sie zu ihrem Hotel zurück. Die Sonne, jetzt hoch am Himmel, brannte herunter, und die von heißer Luft erfüllten Straßen waren fast völlig verödet. Verrückte Hunde und Kunsthistoriker, dachte Dee: eine müde Witzelei, nicht gerade dazu angetan, sie aufzumuntern. Sie hatte ihre letzte Karte ausgespielt, ohne Erfolg. Wenn sie weitermachen wollte, blieb ihr nur noch die Ochsentour: systematisches Durchkämmen der Stadt, das Abklappern jeder einzelnen Kirche.
    Sie ging auf ihr Zimmer, wusch sich Hände und Gesicht, versuchte den Staub aus der Krypta loszuwerden. Die einzig vernünftige Weise, diesen Teil des Tages zu verbringen, war eine Siesta. Sie zog sich aus und legte sich auf das schmale Bett.
    Als sie die Augen schloß, war plötzlich wieder das bohrende Gefühl da, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Angestrengt versuchte sie, sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, was sie über Modigliani erfahren hatte; aber viel war das nicht. Sie döste ein.
    Während sie schlief, überschritt die Sonne ihren Zenit und strömte mit solcher Kraft durch das offene Fenster herein, daß der nackte Körper zu schwitzen begann. Dee bewegte sich unruhig, und ab und zu zogen sich die Muskeln ihres länglichen Gesichts zusammen. Ihr blondes Haar war inzwischen zerzaust, Strähnen klebten an den Wangen.
    Sie erwachte mit einem Ruck und setzte sich auf. In ihrem Kopf war ein Pochen, Folge der Sonnenhitze, doch sie ignorierte es. Sie blickte starr geradeaus, wie jemand, dem gerade eine Offenbarung zuteil geworden ist.
    »Was bin ich doch für ein Idiot!« rief sie. »Er war doch Jude.«
    Dee fand den Rabbi sympathisch. Im Vergleich zu den beiden heiligen Männern, die auf sie reagiert hatten wie auf eine verbotene Frucht, wirkte er geradezu erfrischend. Er hatte freundliche braune Augen, und sein schwarzer Bart war von grauen Strähnen durchsetzt. Er zeigte sich an ihrer Suche ehrlich interessiert, und so erzählte sie ihm die ganze Geschichte.
    »Der alte Mann in Paris sprach von einem Geistlichen, und ich nahm unwillkürlich an, er meine einen katholischen Priester«, erklärte sie. »Ich hatte vergessen, daß die Modiglianis sephardische Juden waren, und zwar recht orthodoxe.«
    Der Rabbi lächelte. »Nun, ich weiß, wem das Gemälde gegeben wurde! Mein Vorgänger war sehr exzentrisch, für einen Rabbi. Er interessierte sich für alles mögliche - wissenschaftliche Experimente, Psychoanalyse, Kommunismus. Er ist natürlich inzwischen verstorben.«
    »In seinem Nachlaß haben sich wohl keine Gemälde befunden,

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