Der Modigliani Skandal
Nachtportiers und legte wieder auf. Dann erhob er sich und öffnete das Fenster.
Es ging hinaus auf einen Hof mit einer Reihe von Garagen und einer Ziegelmauer. Lipsey drehte den Kopf und sah sich in seinem Hotelzimmer um. Das Mobiliar wirkte eher schäbig, der Teppich war ein wenig abgewetzt, doch der Raum war sauber. Zweifellos hätte Charlie Lampeth, Lipseys Auftraggeber, keinerlei Einwände gehabt, falls Lipsey im besten Hotel von Paris abgestiegen wäre: Aber das entsprach nicht Lipseys Stil.
Er zog seine Pyjamajacke aus, legte sie zusammengefaltet auf das Kissen und ging ins Badezimmer. Während er sich wusch und rasierte, dachte er an Charles Lampeth. Wie alle anderen Klienten nahm auch Lampeth mit Sicherheit an, daß eine kleine Armee von Detektiven für die Agentur arbeitete. In Wirklichkeit waren es nur ein halbes Dutzend; und keiner von ihnen hätte diesen Job übernehmen können. Das war zum Teil der Grund dafür, daß Lipsey sich der Sache persönlich angenommen hatte.
Hinzu kam noch Lipseys eigenes Kunstinteresse. Vor allem aber sagte ihm sein Instinkt, daß der Fall sehr interessant werden konnte: Da war ein wild begeistertes Mädchen, da war ein verlorenes Meisterwerk, und da war ein geheimnistuerischer Kunsthändler - zweifellos ließ sich noch viel, viel mehr erwarten. Mit Genuß wollte Lipsey das verworrene Knäuel entwirren. Die Menschen, die in den Fall verwickelt waren; ihre Motive, ihre Gier, ihre kleinen persönlichen Gemeinheiten - über all das würde er schon ziemlich bald im Bilde sein. Benutzen wollte er sein Wissen zwar nur, um das gesuchte Bild zu finden; doch war die Art und Weise, wie er seine Ermittlungen betrieb, für ihn ein Vergnügen ganz eigener Art.
Er wusch sich das Gesicht, spülte seinen Rasierapparat ab und legte ihn ins Etui. Dann rieb er sich etwas Frisiercreme in sein kurzes schwarzes Haar, kämmte es nach hinten, scheitelte es säuberlich.
Er schlüpft in ein einfaches weißes Hemd, band sich eine marineblaue Krawatte um und zog sich einen prachtvoll gearbeiteten Savile Row Anzug an - zweireihig, mit breiten Revers und stark tailliert. Zusammen mit dem Jackett hatte er sich zwei Hosen anfertigen lassen, so daß ihm der Anzug sein Leben lang dienen konnte. Daß er hoffnungslos altmodisch war, wußte er sehr wohl, doch kümmerte ihn das nicht.
Um 7.45 h ging er nach unten, um im Speiseraum zu frühstücken. Der Kellner brachte ihm eine große Tasse mit pechschwarzem Kaffee. Ein wenig Brot, befand er, würde sich mit seine Diät vertragen; Marmelade schied aus.
»Vous avez du fromage, si'l vous plait?« fragte er.
»Oui, monsieur.« Der Kellner entfernte sich, um den Käse zu holen. Lipsey sprach Französisch mit starkem Akzent, war jedoch gut zu verstehen.
Er brach ein Brötchen, bestrich es dünn mit Butter. Während er aß, gestattete er seinen Gedanken, sich der Planung für diesen Tag zuzuwenden. Er hatte lediglich drei Dinge: eine Postkarte, eine Adresse und ein Foto von Dee Sleign. Er zog das Foto aus seiner Brieftasche und legte es neben seinen Teller auf das weiße Tischtuch.
Es war ein Amateurfoto, offenbar bei irgendeiner Familienzusammenkunft aufgenommen - Büfett-Tische auf einem Rasenstück im Hintergrund ließen auf eine sommerliche Hochzeit schließen. Das Foto mußte vor vier oder fünf Jahren gemacht worden sein, das verriet der Stil des Kleides, welches das Mädchen trug. Sie lachte, warf gerade ihr Haar über die rechte Schulter zurück. Ihre Zähne waren nicht gut geformt, und ihr geöffneter Mund wirkte eher unattraktiv; dennoch war etwas von einer Persönlichkeit zu spüren, von Fröhlichkeit und -vielleicht - auch Intelligenz. Die Augen wirkten in ihren äußeren Winkeln ein wenig nach unten gezogen - gleichsam im Gegensatz zu asiatischen Augen.
Lipsey holte die Postkarte hervor und legte sie auf das Foto. Das Bild zeigte eine schmale Straße mit hohen Häusern. Im Parterre befanden sich zumeist irgendwelche Läden. Eine Straße ohne besondere Attraktionen, nicht weiter sehenswert - und diese Ansichtskarte konnte man vermutlich nur in der Straße selbst kaufen. Er drehte die Karte um. Die Handschrift des Mädchens entsprach ganz dem Eindruck, den sie auf dem Foto machte. In der linken oberen Ecke sah man den gedruckten Namen der Straße.
Schließlich holte Lipsey sein kleines, orangefarbenes Notizbuch hervor. Die Seiten waren leer - bis auf die erste, auf der er sich in seiner kleinen Handschrift die Pariser Adresse des Mädchens notiert
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