Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
die Mundwinkel. „Beschwören Sie es nicht, Herr Wieland ...“
„Fürwahr!“, lachte der. „Wenn sich hier jemand auf Beschwörungen versteht, dann Sie, Herr Lewis. Man hat da etwas an mich herangetragen, das den Abend in Tiefurt in völlig anderem Licht erscheinen lässt.“
Die Kutsche setzte sich in Bewegung und rollte übers Pflaster. Lewis wusste nicht, ob es diese Vibrationen oder Wielands Worte waren, die ihm unangenehm in den Magen fuhren.
„Ich habe von der kleinen Indiskretion durch Frau Böttiger erfahren; sie hat es mir gestanden“, sagte Lewis. „Ich nehme es ihr aber nicht übel. Ich fürchte, ich sollte mich als Dichter daran gewöhnen, dass andere meine Werke lesen.“
„Eine einsichtige Geisteshaltung!“, nickte Wieland.
„Aber Ihnen gegenüber, geehrter Herr, Ihnen gegenüber muss ich etwas weniger einsichtig sein!“ Lewis lächelte. „Wie konnten Sie Ihre Begabung nur einem Geringeren als William Shakespeare widmen!“
„Oh, grämen Sie sich nicht, das war nur allzu nötig! Nach bald dreißig Jahren kam es mir sehr zupass, wieder einmal mein Angelsächsisch zu bemühen, nach all dem Griechisch seitdem ...“ Wieland tippte an seine mächtige Nase. „Ich möchte meinen, dass Ihre kleine Schauermär bei mir in besseren Händen war als beispielsweise bei Herrn Bode, der ebenfalls aus dem Englischen überträgt und den Sie gleich kennenlernen werden. Ich denke, die Gespräche heute Abend werden sehr fruchtbar werden!“
„Das will ich hoffen“, meinte Lewis, lehnte sich zurück und schloss das kleine Geplänkel für den Augenblick ab.
Die Fahrt war überraschend kurz, und bald schon stiegen Lewis und Wieland vor dem Erfurter Tor an einem schmucken dreigeschossigen Bau aus.
„So“, sagte Wieland. „Hier wohnt der gute Bertuch, den Sie ja schon kennengelernt haben. Sie dürfen davon ausgehen, dass sowohl das Haus als auch das Innere sich durch die gleiche extravagance auszeichnen wie der Herr Unternehmer selbst.“
Das Tor öffnete sich, und ein Diener geleitete sie durch einen Gang, der zu einem weitläufigen, parkähnlichen Baumgarten hinter dem Haus führte. Die Äste und Zweige strotzten vor grünem Blattwerk, und dahinter lärmte ungesehen, aber umso deutlicher vernehmbar, ausgelassen eine Abteilung von Singvögeln.
Lewis sah sich um. „Sollen wir etwa zunächst einen Spaziergang machen?“, fragte er.
Wieland schüttelte den Kopf. „Es scheint, als wolle Bertuch das angenehme Wetter nutzen und das Treffen im Freien abhalten.“
„Hoffentlich wird das gegen Abend nicht zu kühl“, gab Lewis zu bedenken, „ich möchte keinen Rückfall erleiden ...“
„Seien Sie unbesorgt. Ich bin sicher, Bertuch hat wärmende, geistige Getränke bereitgestellt.“
Ein lautes Trompeten durchschnitt die Luft, und Lewis zuckte zusammen.
„Hören Sie die Schwäne?“, fragte Wieland. „Auf dem Schwanseeteich dort wird im Winter Schlittschuh gelaufen. Goethe hat damit angefangen, das hatte er vermutlich von Klopstock, und seitdem begeben sich Hofstaat und Bürger aufs Eis, als sei es ihnen zu wohl.“ Er zwinkerte Lewis zu. „Am verrücktesten hält es Frau von Stein, die von morgens neun bis ein Uhr und dann wieder nachmittags von drei bis sechs oder sieben auf den Kufen steht. Sie macht dabei freilich keine gute Figur ...“ Er hielt die Hand vor den Mund. „Das brauchen Sie aber nicht gegenüber Goethe zu erwähnen. Herrje, ich plaudere schon wie der Böttiger!“
Lewis lachte. „Ein wenig, nur ein wenig ...“
Sie kamen zu einem Häuschen mit Giebeln, dessen rosafarbener Putz keck aus dem Grün hervorleuchtete. Davor standen auf dem Rasen ein Tisch und einige Stühle, und um diese herum hatten sich bereits drei Herren versammelt, die sich angeregt unterhielten.
Friedrich Justin Bertuch sah auf und kam den Neuankömmlingen mit ausgebreiteten Armen entgegen. Er grinste so breit, wie es sein kleiner, voller Mund erlaubte, und seine Augen waren so rund wie die Nasenspitze, die sich ein wenig gerötet zeigte. „Herr Wieland und Herr Lewis! Wie schön!“
Bertuch trug einen himbeerroten Frack zu mausgrauer Hose, deren Kniebänder ebenso rot leuchteten. Seine Weste war rot und gelb gestreift, und über all dem prangte eine blaurote Halsbinde, die zu einer großen Schleife gebunden war. Lewis war versucht, die Augen ein wenig zusammenzukneifen – der Kontrast von Bertuchs Kleidung mit dem Grün der Bäume hätte Goethe gewiss zu neuen Erkenntnissen in der Farbenlehre
Weitere Kostenlose Bücher