Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
flüsterte er und rieb sich mit den Handballen die Schläfen. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Die letzten Momente erscheinen mir wie von einem Schleier überzogen ...“
Er blickte starr nach vorn, hinein in das Gesellschaftszimmer und auf die schlanke Frau, vierzig mochte sie sein, die in der Mitte der Lauschenden stand. Reiche Falten rosenfarbenen Stoffes umspielten sie, bewegten sich mit ihren Gesten. Das lange, helle Haar der Schröter war mit einem zum Kleid passenden Band auf dem Scheitel gebändigt und fiel in Locken auf ihren Nacken und ihre Schultern. Die Augen schlossen sich dann und wann unter den gewölbten Brauen, um diese oder jene Passsage zu betonen. Auch wiegte sie den Kopf, so dass man ab und an ihre klassische Nase im Profil sehen konnte. Ihr Mund rundete sich fein und entließ jene verzückende Melodie, die Lewis so jäh unterbrochen hatte. Er hatte den Blick immer noch auf die Primadonna gerichtet, als diese in einer ihrer wiegenden Bewegungen innehielt und ihm ins Gesicht sah. Lewis erschrak und senkte das Haupt in Scham.
„Wenn ich mich nicht irre“, raunte ihm Herder zu, der sich mittlerweile ebenfalls eine Sitzgelegenheit besorgt hatte, „ist die Dame nicht besonders erzürnt.“
„Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?“, gab Lewis schwach zurück, ohne aufzublicken. „Ich habe mich unmöglich benommen und ihre Kunst gestört.“
„Ich glaubte zu sehen, wie sie in Ihre Richtung geblinzelt hat“, meinte Herder.
Lewis sah ihn aus dem Augenwinkel an. „Sie scherzen!“
„Keineswegs“, antwortete Herder, und Lewis erschien Herders Gesichtsausdruck ernst genug, um seinen Worten Glauben zu schenken.
„Aber ist das nicht ungehörig ...?“, begann er.
„Ungehörig ist es, wenn die jungen Herren nicht mit dem Tuscheln aufhören“, zischte der hinter ihnen sitzende Wieland, indem er sein Antlitz zwischen die Köpfe der beiden schob.
„Jawohl, Herr Wieland“, sagte Lewis eingeschüchtert und reuig, während Herder nur knapp nickte.
„Recht so. Wenn hier jemand spricht, dann werde ich das sein.“ Wieland zog das Haupt zurück, blieb aber weit genug vorgebeugt, damit seine leise Stimme gut zu hören war. „Ich denke, Sie können Ihren Fauxpas am besten wieder gutmachen, indem Sie nicht kleinlaut, sondern gefasst auftreten, und damit Ihnen das gelingt, werde ich Ihnen nun die Anwesenden vorstellen. So wissen Sie, mit wem Sie es nachher zu tun haben, und falls Spontaneität nicht Ihre Stärke ist, können Sie sich für jede Person schon einmal ein Sätzlein bereitlegen. Verstanden?“
„Natürlich“, zischte Lewis, ohne den Kopf zu wenden, ja nahezu ohne die Lippen zu bewegen.
„Sitzen Sie nicht so steif, sonst sind Sie in ein paar Minuten so verkrampft, dass Sie keine gute Figur machen werden.“
Lewis rutschte ein wenig auf dem Polstersessel hin und her und bewegte die ohnehin schmerzenden Schultern so sachte wie möglich, damit es nicht aussah, als zappele er auf seinem Stuhl herum.
„Also“, wisperte Wieland. „Die hochgeborene Gastgeberin sitzt dort hinten zur Linken, in Dunkelblau.“
Lewis schielte in die ihm gewiesene Richtung und sah eine zierliche Frau in den Fünfzigern, mit großen Augen und schmalem Mund, die mit zartem Lächeln der Sangesdarbietung lauschte. Sie war nicht so prächtig gekleidet, wie sich Lewis die Mutter eines Herzogs vorgestellt hätte, sie trug keine Preziosen, um ihren Hals war nur locker ein dünner Schal geschlungen. Die Kostbarkeiten, mit denen sie sich schmückte, bestanden aus Dichtern, Künstlern und Gelehrten, und diese schienen ihr weit wertvoller zu sein als Gold und Juwelen. Lewis konnte das nur bewundern.
„Neben ihr sitzt Karl Ludwig von Knebel, Erzieher des Prinzen Constantin und maßgeblicher Gestalter dieses Anwesens und der umliegenden Parklandschaften“, fuhr Wieland fort.
Lewis schätzte den Mann im senffarbenen Rock auf Ende vierzig, doch dessen verdrießlicher Blick, die hohe Stirn und der verkniffene Mund ließen ihn älter erscheinen.
„Eine recht kapriziöse Natur“, setzte Wieland hinzu. „Vielleicht auch deshalb mit Goethe so gut befreundet. Der sitzt, wie Sie sehen, direkt daneben.“
Kaum hatte Lewis zögerlich, da ihm dessen Zurechtweisung noch in den Ohren klang, seinen Blick auf den Geheimrat gerichtet, da ruckte Goethes Kopf auch schon eine wenig zur Seite, und seine Augen schienen ihn direkt anzufunkeln. Lewis sah rasch nach unten. Er wusste nicht zu entscheiden, ob die folgende
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