Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Bewegung ein schulmeisterliches Kopfschütteln war oder ob sich Goethe nur zum Takt des Liedes wiegte. Sicher war er nur, dass er das Wohlwollen, das ihm der Geheimrat am vorigen Tag entgegengebracht hatte, nun wieder verspielt hatte. Es graute ihm davor, Goethe gegenüberzustehen, und die Frist bis zu dieser Begegnung schwand mit jeder Note aus der Kehle Corona Schröters. Lewis hob den Blick vorsichtig und sah, dass Goethe sich wieder abgewandt hatte. Er nickte kurz einer kleinen Frau zu, die neben ihm auf einem Stuhl saß. Lewis sah diese im Profil, und hätte ihn nicht schon die markante Nase und die vorspringende Mundpartie aufmerksam gemacht, so ahnte er doch noch mehr, als er sah, wie ein Buckel unterhalb des Nackens hervorsprang, der mit dem cul de Paris des veilchenblauen Kleides wetteiferte.
Wieland schien bemerkt zu haben, wie Lewis’ Schultern sich versteiften. „Master Lewis, entweder Sie haben die unelegante Angewohnheit, Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen, oder der gute, geschwätzige Böttiger hat Sie mit Informationen versorgt, die ebenso furchtbar wie übertrieben waren.“ Er schnalzte leise mit der Zunge. „Aber wie auch immer, Sie haben richtig erkannt, das ist das Fräulein von Göchhausen. Sie werden sie nachher wohl oder übel kennenlernen müssen und sich selbst einen Eindruck verschaffen.“
Lewis nickte automatisch.
„Die anderen Herren sitzen leider mit dem Rücken zu uns, aber ich kann Ihnen nichtsdestoweniger sagen, dass der Herr im gestreiften Frack mit großer Sicherheit Friedrich Bertuch ist. Er wird gern der Tatsache gerecht, dass er mit Kraus zusammen das Journal des Luxus und der Moden begründet hat, also sehen Sie ihm die Farbkombination nach.“
Lewis konnte nichts Schlimmes an den blauen und cremefarbenen Streifen des Stoffes finden, vielleicht waren die dünnen Linien Rot dazwischen etwas zu extravagant. Dagegen war der letzte der Männer im Raum umso strenger gekleidet. Lewis sah nur den schwarzen Rock und den hellen Kragen, auf den der eisgraue Zopf fiel. Er wartete, dass Wieland etwas anmerken würde, aber diesmal war es Herder, der sprach. „Das ist mein Vater, Johann Gottfried von Herder.“ In diesen wenigen Worten klang so viel Ehrfurcht und Liebe des Sohnes zum Vater mit, dass es Lewis mit Trauer und auch Neid erfüllte. Er hätte nie derart von dem Sekretär des Kriegsministeriums sprechen können, dem er vor siebzehn Jahren als Sohn geboren worden war.
Als mit einem Mal Corona Schröter ihren Gesang beendete und die Zuhörer dezent applaudierten, war Lewis froh, nicht solcherlei Gedanken nachhängen zu müssen.
„Nun“, hörte er Wieland sagen. „Jetzt kommt Ihr Auftritt.“ Lewis, der sich bereits, ohne Nerven zu zeigen, auf dem Parkett von Paris und Wien bewegt hatte, schlug das Herz bis zum Hals. Im Empfangszimmer scharrten die Stuhlbeine leise.
Bertuch und der alte Herder präsentierten sich nun im Profil, doch bevor Lewis sie auch nur genauer in Augenschein hätte nehmen können, traten sie zur Seite, und zwischen ihnen erschien die hohe Gestalt Goethes, der mit weitgreifenden Schritten auf die drei Spätankömmlinge zuging.
Lewis schoss vom Stuhl empor, halb, weil Goethe sich so schnell näherte, halb, weil er für einen kurzen Moment einen Blick der Herzoginmutter auf sich erhascht hatte. Aus dem Augenwinkel sah er neben sich auch Wieland und den jungen Herder aufstehen.
Nun war Goethe heran und baute sich vor den dreien auf. Er sah von einem zum anderen, wobei er bei Herder begann, ihn kurz nickend grüßte, was dieser mit leichtem Diener erwiderte. Dann hob er Wieland gegenüber die Brauen und richtete schließlich seine ganze Ausdruckskraft auf Lewis. Dies dauerte nur wenige Lidschläge an, und doch schien es Lewis wie eine Jahreszeit, vornehmlich eine mit Frost, Sturm und Dunkelheit. Dann öffnete Goethe den Mund und fragte, ohne den Blick von Lewis zu wenden: „Wieland, sag mir, warum diese Verspätung deinerseits, warum das tolldreiste Gebaren von Seiten Master Lewis’, und warum hat der junge Herder Schlamm an seinen Hosen?“
Wieland blies die Backen auf, während Herder so unauffällig wie möglich seine Beinkleider betrachtete. „Teurer Freund, die Narretei magst du allein mir kaum glauben, weswegen ich sie für später aufzuheben gedenke. Momentan scheint es mir sinniger, den Kernpunkt der Aufmerksamkeit allen hier bekannt zu machen.“ Er hob das Kinn, und als Goethe sich halb umwandte, sah der die Gesellschaft im
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