Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
schien ihm unmöglich, mit solcherlei zu Papier gebrachten Scheußlichkeiten in der Nähe seines Kopfes auch nur ein Auge zuzutun. Rasch schlug er die Laken beiseite, ergriff die Kerze und ließ sich auf die Knie sinken. Er leuchtete unters Bett.
Doch außer einigen Staubflusen war dort nichts zu sehen. Er bewegte die Kerze hin und her, um alle Winkel zu erleuchten, doch das Papierknäuel war nicht auszumachen.
Lewis stand auf, ging im Zimmer herum und suchte. Vielleicht hatte er sich geirrt, als er gesehen zu haben glaubte, wie die Kugel unters Bett gerollt war. Er schaute unter den Nachtkasten, unter den Stuhl, sogar unter den Schreibtisch, obwohl ihm dies töricht schien.
Doch das Manuskript blieb verschwunden.
Lewis war konsterniert. Ihm fiel nichts mehr ein, was mit dem Papier geschehen sein könnte. Ermattung überkam ihn. Er kroch ins Bett zurück, löschte das Licht und hoffte, ihm werde jeglicher Traum erspart bleiben, der die heutigen Ereignisse wieder aufleben ließ.
Am Morgen saß er, durch ungewöhnlich erquickenden Schlaf erfrischt, am Frühstückstisch, gemeinsam mit der Familie Böttiger. Der Gymnasialdirektor hatte einen freien Tag, weshalb er am Vorabend noch so spät wach gewesen war. Er hatte auch nach Lewis’ Ankunft weiter gearbeitet und berichtete freudig von allerlei, was er zu Papier gebracht hatte. Eleonore Böttiger, die versuchte, ihrem Sprössling kleine Stücke gebutterten Brotes schmackhaft zu machen, was ihr nur mit mäßigem Erfolg gelang, hörte diesen auch für Lewis’ Ohren recht trockenen Ausführungen über Altertümer geduldig zu. Schließlich fragte sie, wobei sie ihren Eifer zu unterdrücken suchte, was ihr recht annehmbar glückte, nach den Erlebnissen, die Lewis am Tag zuvor zuteil geworden waren. Lewis erläuterte die Fahrt nach Tiefurt mit schlichten Worten, aus Rücksicht auf die frühe Stunde und die Anwesenheit des jungen Böttigers. So vermied er etwa jegliche Erwähnung der dunklen Reiter und tat den Kutschenunfall als bedauerliches Zusammenspiel von Zufällen ab, indem er vage auf Steine und Wurzeln hinwies. Die mühevolle Arbeit im Schlamm schilderte er als leichtherzige Posse und genoss das Amüsement, das er bei seinen Gastgebern erzielte. Selbst Karlchen vermochte er mittels einiger lustiger Gesichter, die er schnitt, ein fröhliches Krähen zu entlocken. Nicht minder komisch schilderte er die Ankunft in Tiefurt und seine Begegnung mit den anwesenden Gästen. Böttiger war offenkundig stolz, seinen jungen Gast mit dem nötigen Rüstzeug in Gestalt persönlicher Anmerkungen versorgt zu haben. Gleichzeitig zog er aus Lewis’ Bericht insofern einen Nutzen, als dass er sich die eine oder andere Äußerung oder Reaktion dieser oder jener Gestalt des öffentlichen Lebens in Weimar gut merkte, um sie später vielleicht einmal selbst wiedergeben zu können. Während Böttiger also aufmerksam jedes Wort Lewis’ in sich aufnahm, saß Eleonore da, das Kinn zierlich auf die Kn ö chel der einen Hand gestützt, während sie dann und wann am Kaffee nippte, der schon längst kalt geworden war. Sie lauschte aufmerksam und mit leuchtenden Augen. Lewis fragte sich, warum sie so begeistert von seinem Bericht war, da ihr Mann solche Dinge sicher tagtäglich vorzubringen hatte. Schließlich erklärte er es sich durch seine eigene, im Vergleich zu Böttiger weniger klatschhaft scheinende Erzählweise, die ihr diese höfischen Gesellschaftsneuigkeiten schmackhaft machten. Während er vom Auftritt des Mesmeristen und Goethes Widerspenstigkeit berichtete, wägte er sorgsam ab, wie von seiner eigenen Trance zu berichten wäre. Unmöglich konnte er seine Traumgesichte wahrheitsgemäß wiedergeben – wobei sich allerdings die Frage stellte, inwiefern man hier von einer Wahrheit würde sprechen können. Das drastische Ende jener Episode würde er unterschlagen müssen, um niemanden zu ängstigen. Zwar drängte sich ihm der Gedanke auf, dass Eleonore Böttiger aufgrund ihrer Lektürevorlieben dem ganzen vielleicht etwas weniger schockiert gegenüberstehen würde als etwa die Damen bei Hofe, doch wollte er es nicht auf eine Prüfung ankommen lassen. Schließlich mochte er sie nicht vor ihrem Mann in jene unangenehme Situation bringen, sich etwa erklären zu müssen, warum sie keine angemessene Reaktion gezeigt hätte. Genauso wenig wollte er sie zwingen, ihrem Mann etwas vorzugaukeln, was sie nicht empfand, nur um einem Bild gerecht zu werden oder etwas zu verheimlichen. Lewis
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