Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
hätten nach dem Essen nacheinander das Haus verlassen. Die Köchin, die die Böttigers stets nur „Gine“ riefen, zeigte für eine Frau ihres Berufs recht schmale, wenn auch keineswegs hagere Züge. Der Mund schien etwas spitz, vielleicht auch die Nase, was aber nicht schnippisch wirkte. Das bleich erscheinende Haar, das schon einige graue Strähnen hatte, war ordentlich aufgesteckt, die Schürze überraschend rein.
Lewis setzte sich an den schön mit Sand geschrubbten Tisch und dankte Gine, als er einen Teller mit Hammelfleisch und Karotten bekam. Er nahm vom Brot, verschmähte aber den Salat aus Kartoffeln, weil Sardellen darin waren, die einen ihm allzu suspekten Geschmack besaßen. Dennoch war er sehr zufrieden mit der Mahlzeit, die seinen Magen füllte und auch am Gaumen wenig zu wünschen übrigließ. Er fühlte sich von der Köchin beobachtet und schenkte ihr ein Nicken, da er nicht mit vollem Mund sprechen mochte.
Sie wandte sich halb wieder ab, schien ihn aber nicht aus den Augen zu lassen.
Lewis schluckte. „Es schmeckt mir sehr, vielen Dank“, sagte er, weil er glaubte, die Köchin verlange nach Anerkennung. Kurz überlegte er, doch noch vom Kartoffelsalat zu kosten, doch dieser Preis schien ihm für ein wenig Höflichkeit doch zu hoch. Also sah er in der Küche umher, als wolle er deren Ordnung loben. Dabei bemerkte er den Korb mit Holz, der neben dem Herd stand, und die Fetzchen Papier, die zwischen den Scheiten hervorlugten.
Mit einem Satz, der den Stuhl nach hinten über den Boden scharren ließ, sprang er hinzu und zerrte das Papier hervor. Gine hatte bei der heftigen Bewegung und dem scharfen Geräusch einen kurzen Schrei ausgestoßen und beinahe die Pfanne fallen gelassen, an der sie mit einem Lappen herumwischte.
Lewis, der entgegen seines Eides im Park gehofft hatte, das verschwundene Manuskript zu finden, wurde enttäuscht. Es war nur eine zerrissene Zeitungsseite. Lewis musste sich eingestehen, dass er zwar nicht betrübt über den Verlust des Textes, aber dennoch neugierig auf den Verbleib der Papiere oder den Umständen ihres Verschwindens war.
„Verzeihen Sie“, wandte er sich an Gine, „aber Sie haben doch zum Entfachen des Herdes heute Morgen sicher auch Papier benutzt?“
„Sicher“, sagte sie und drückte die Pfanne an die Brust.
„Können Sie sich erinnern, was darauf stand?“
„Ich kann nicht lesen.“
Lewis trat näher. Gine trat einen Schritt zurück und hob die Pfanne.
„Können Sie sich erinnern, ob es beschrieben oder bedruckt war?“ Lewis hob die Hände in einer beiläufigen Geste, die sein Bitten unterstreichen sollte.
Gine packte die Pfanne fester. „Nein“, sagte sie langsam, und ihre Augen wurden schmal.
Lewis bemerkte es nicht, da er überlegte, wie er der Frau sein Anliegen erläutern konnte. Er kam noch näher und suchte nach Worten, wobei er mit den Fingern in die Luft griff, als könne er die Begriffe dort herauspflücken. Gine hob die Pfanne noch höher.
„Sehen Sie ...“, begann Lewis, und in diesem Moment fiel ihm etwas ein. Er rief: „Ja!“ und hob den Finger.
Gine holte aus.
„Gine!“, rief Eleonore Böttiger von der Schwelle zur Küche. „Um Gottes Willen!“
Diesmal erschrak Lewis, sah die Köchin mit ihrem wilden Gesicht und taumelte zurück. Die Pfanne zischte durch die Luft. Eleonore lief herbei und legte der Köchin die Hand auf den Arm. „Was tust du denn!“
„Der komische Kerl kam mir zu nahe!“, sagte sie und ließ die Pfanne sinken, zeigte mit der anderen Hand auf Lewis, der kreidebleich war und nicht wusste, wie ihm geschah.
Eleonore sah ihn ungläubig an. „Herr Lewis ...?“
Lewis wedelte mit den Händen. „Aber nein, ich wollte nur ...“
Eleonore trat zwischen die beiden. „Bitte, was ist hier vorgefallen?“
Lewis und Gine redeten durcheinander. „Ich wollte nach dem Papier fragen.“
„Er kam mir zu nah und hat nach mir gegriffen!“
Eleonore schüttelte den Kopf. „Was für ein Papier? Gine, stell die Pfanne ab, Herr Lewis tut dir nichts! Du benimmst dich ja, als sei er ein Fremder!“
„Das ist er doch auch!“
„Nein“, sagte Eleonore nachdrücklich, „er ist unser Gast, und ein ehrenwerter dazu!“
„Er ist mir unheimlich!“
Lewis, der eigentlich auf die Frage Eleonores antworten wollte, riss die Augen auf. Sein Haar hing ihm wirr in die Stirn. Eleonore sah von Lewis zu Gine und zurück. Hinter ihrer empörten Miene hätte man bei genauem Hinsehen ein leises Lächeln erkennen
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